Soulfood statt Superfood

Unter dem Motto „Genuss statt Krebsdiät“ startet das Uniklinikum Würzburg zusammen mit Foodcoach und Sternekoch Bernhard Reiser ein Pilotprojekt in Sachen Ernährung

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„Der größte Anteil unserer Ernährung sollte aus Gemüse und Obst bestehen. Enthaltene Farb- und Aromastoffe, sowie sekundäre Pflanzenstoffe schützen Zellen vor schädlichen Umwelteinflüssen (antioxidative Wirkung) und zeigen im Tiermodell zum Teil auch krebshemmende Eigenschaften. Wir empfehlen daher regional und saisonal einzukaufen“, so
Dr. Claudia Löffler (Mitte), Lisa Schiffmann (links) und Bernhard Reiser (rechts). Foto: Susanna Khoury

Wenn jemand während oder nach einer onkologischen Therapie nichts mehr rieche oder schmecke, könne man dennoch Genuss am Essen kreieren, sagt Foodcoach und Sternekoch Bernhard Reiser. Und zwar indem er den Geschmack von bestimmten Speisen, die der Betroffene von früher her kennt, im Gehirn visualisiert: „Allein dadurch entsteht Genuss und ein kleiner Glücksmoment für die Seele. Ob der Patient das krosse Wiener Schnitzel oder die cremige Tiramisu später püriert zu essen bekommt, ist eine andere Geschichte!“

Soulfood statt Superfood, also? „Ja“, sagt die Initiatorin des Pilotprojektes, Dr. Claudia Löffler, Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin am Uniklinikum Würzburg (UKW): „Unter dem Motto ‚Genuss statt Krebsdiät‘ möchten wir einen Teil dazu beitragen, dass Patienten in dieser schwierigen Lebensphase sich durch die Wahl ihrer Ernährung nicht unter Druck setzen (lassen), sondern Lebensqualität durch Genuss und Freude am Essen erleben können.“

Von einer ketogenen Diät, bei der vornehmlich auf Kohlehydrate verzichtet werde oder auch von anderen Krebsdiäten, wie beispielsweise die Breuß Cancer Kur, raten Dr. Löffler und die Ernährungswissenschaftlerin Lisa Schiffmann, die Dritte im Bunde bei diesem Projekt, ab.

Ökotrophologin Schiffmann beklagt, dass noch viel zu wenige Onkologen, Krebspatienten zu einer Ernährungsberatung schickten: „Wenige Ärzte weisen auf die Bedeutung von Ernährung bei onkologischen Erkrankungen hin. Dabei können ein guter Ernährungszustand und eine angepasste Ernährung den weiteren Therapieverlauf, sowie die Lebenserwartung bei Krebs entscheidend beeinflussen!“

Die studierte Ernährungswissenschaftlerin und Ökotrophologin bietet ambulante Ernährungsberatung am UKW nach Terminvereinbarung auch für Krebspatienten, die nicht am UKW in Behandlung sind, an.

Gesund & genussreich

Wie soll man sich denn nun bei einer Krebserkrankung gesund und dennoch genussreich ernähren? Mit mediterraner Vollwertkost sei man auf der sicheren Seite, sind sich Claudia Löffler und Lisa Schiffmann einig: „Viel frisches, Obst und Gemüse, wenig rotes Fleisch, aber dennoch ein bis zweimal die Woche Fleisch wegen der für die Blutbildung wichtigen B12-Zufuhr, Fisch (etwa Lachs, Makrele, Hering) und hochwertige Öle (wie Oliven-, Avocado-, Lein- und Rapsöl) wegen der Omega3-Fettsäuren; wenn Milchprodukte, dann in Bio-Qualität, und bei nachgewiesenem Selenmangel auch zwei Paranüsse am Tag wegen der selenarmen Böden in Unterfranken“, so die grobe Ernährungsempfehlung.

„One size fits all“ könne bei den verschiedenartigen Krebserkrankungen und Stadien sowieso nicht gelten. Und es gehe auch nicht nur darum, was man esse, sondern auch um das Vorher und Nachher. Das ist auch der Standpunkt von Sternekoch Reiser: „Wie kann ich Genuss beim Essen empfinden, wenn ich weiß, dass das Tier auf dem Teller nicht artgerecht gehalten wurde oder voller Antibiotika steckt. Oder wenn ich mir mit Obst und Gemüse gleich noch verschieden Pestizide in den Körper hole?“

Gesunde und genussreiche Ernährung fange bei hochwertigen, nachhaltigen und fair erzeugten Lebensmitteln an und höre beim Spaß am Essen noch lange nicht auf, so der Foodcoach, der mit den Ernährungs-Experten vom UKW einen theoretischen Teil in Form von Vorträgen für das Pilotprojekt „Genuss statt Krebsdiät“ erarbeitet hat.

Und damit die Praxis und vor allem der Spaß nicht zu kurz kommen, wird es auch Kochkurse mit Sternekoch Reiser für Patienten mit Krebs geben. Wie viele Kurse angeboten werden und über welchen Zeitraum hinweg, hänge von der Resonanz ab und davon ob das Projekt im positivem Sinn Wellen schlage, betont Dr. Löffler.

Gesunde Küche für Kranke

Sie persönlich favorisiere sogar eine komplette Umstellung der Küche des UKWs, zugeschnitten auf das „Profil“ kranker Menschen. „Wir leben in der besten aller Welten, hier in Europa und dennoch geben wir Kindern und kranken Menschen oft Essen ohne Vitalstoffe, in Form von minderwertigen Fertiggerichten“.

Der Faktor „Kosten“, der von Kitas und Krankenhausverwaltungen oft als Rechtfertigung hierfür ins Feld geführt werde, sei nicht haltbar, so Reiser. Er könne guten Gewissens das Blindeninstitut Würzburg, das seine Küche komplett umgestellt hat, als gutes Beispiel ins Feld führen, dass die Kosten für selbst gekochtes Essen nicht wesentlich höher seien, als die für „Convenience“.

„Für 1.000 Personen wird im Blindeninstitut nun seit drei Jahren alles selbergekocht mit regionalen, saisonalen und unbehandelten Lebensmitteln – mit weniger Lagerkosten, dafür mit ein wenig mehr Personal in der Küche. Die Bilanz für alle: höchst zufriedenstellend“, konstatiert der Sternekoch, der schon seit 15 Jahren mit dem Blindeninstitut zusammenarbeitet, beispielsweise bei „Genießen im Dunkeln“, das er Jahr für Jahr am Stein anbietet.

Im Dunkeln lassen Löffler und Schiffmann ihre Patienten in punkto Ernährung nie. Im Gegenteil – sie reden Tacheles: „Patienten, die sich gesund und ausgewogen ernähren, brauchen keine teuren Nahrungsergänzungsmittel – mit Ausnahme von Vitamin D vielleicht“ oder „Kohlehydrate sind nicht ‚per se‘ schlecht für Patienten mit einer onkologischen Erkrankung“ – im Gegenteil, der Verzicht könne sich sogar kontraproduktiv auswirken.

Zu einer ausgewogenen Ernährung zählten Kohlehydrate aus Vollkornprodukten, Obst und Gemüse. Aus „Angst vor dem Fruchtzucker“ riskiere der Patient eher eine Mangelernährung, da dieser mit einer dieser Ausschlussdiäten nicht nur Kohlehydrate, sondern auch sekundäre Pflanzenstoffe, Mineralien, Spurenelemente und wichtige Ballaststoffe verneine.

Die Dosis macht das Gift, wusste schon Paracelsus und dieses Statement hat heute noch Bestand: sinnvoll auswählen ergibt Sinn – von allem ein bisschen, von manchem ein bisschen weniger und von manchem ein bisschen mehr!

Auf die Gesundheit!

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