Wie im Urlaub

In Euerdorf wird seit knapp einem Jahr mit ungewöhnlichem Konzept gepflegt

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Der Esstisch ist wunderschön dekoriert. Nichts schaut hier nach „Pflegeheim“ aus. Und so soll es auch sein. „Wir verstehen uns als eine Art Senior:innen-Hotel, in dem Senior:innen Urlaub machen“, sagt Julia Ortmann, Leiterin des „Seniorenhauses Euerdorf“ im Landkreis Bad Kissingen. Das, was seit dem 5. April 2023 als „Seniorenhaus Euerdorf“ firmiert, war einst ein reguläres Pflegeheim mit 29 Plätzen. „Aus Personalmangel musste es geschlossen werden“, berichtet Julia Ortmann. Beim Nachdenken darüber, was mit dem Haus fortan geschehen könnte, kam die Idee auf, Kurzzeitpflegeplätze anzubieten. Das allerdings sollte nicht nach klassischem Konzept mit examinierten Pflegekräften geschehen. Das Personal hätte man sowieso nicht gefunden. Allerdings fand man Quereinsteiger, die sich inzwischen mit Leib und Seele hier engagieren. Etliche Senior:innen nutzten bisher das Angebot. Insgesamt 20 Zimmer, die einzeln oder von einem Paar belegt werden können, stehen zur Verfügung. Vor allem zur Urlaubszeit sind die Plätze rasch weg. „Teilweise kommen unsere Gäst:innen von weit her, einmal zum Beispiel sogar aus Frankfurt am Main“, berichtet Ortmann. Das Team kümmert sich rund um die Uhr um die Gäst:innen. Darunter sind auch Pflegehelfer:innen, wobei die meisten vorher beruflich noch nicht gepflegt hatten: „Wir haben zum Beispiel eine Konditorin, einen Metzgermeister oder eine Friseurin.“ Das Interesse daran, als Quereinsteiger im Senior:innenhaus zu arbeiten, war gigantisch, schildert die Krankenpflegerin: „Wir hatten unfassbar viele Bewerbungen und hätten die Stellen vielfach besetzen können.“ Angesichts des Pflegenotstands mag das erstaunen. Auf der anderen Seite liegt es auf der Hand, warum die Arbeitsplätze im Senior:innen-Hotel so attraktiv sind: Es kann frei, vor allem stressfrei, gearbeitet werden. Das 15-köpfige Team macht das, was normalerweise Angehörige tun. Auch die pflegen ja nicht professionell. Allerdings erhielt in Euerdorf jede:r eine 40-stündige Schulung zum Einstieg. Im November wurden alle zu Pflegeassistenten nachgeschult: „Einer aus dem Team durchlief außerdem eine Ausbildung zur Betreuungskraft.“ Sofern professionelle Pflege erforderlich ist, kommt ein Pflegedienst ins Haus. „Die Senior:innen fühlen sich bei uns tatsächlich so, als wären sie im Urlaub“, berichtet Julia Ortmann. Darum fand das anfangs angedachte Beschäftigungsangebot „Kochen“ auch keinen Anklang. Wer kocht schon gern, wenn er im Urlaub ist! Die Senior:innen möchten verwöhnt werden. Dreimal am Tag genießen sie leckere Mahlzeiten. Dazwischen gehen sie, unterstützt von den Betreuungskräften, ihrer Lieblingsbeschäftigung in Haus und Garten nach. Das neue Pflegekonzept in Euerdorf ist ein Angebot der sogenannten Verhinderungspflege. Gebucht werden muss für mindestens sieben Tage, so Ortmann: „Wobei viele für drei Wochen kommen.“ 21 Tage wird Verhinderungspflege ab Pflegegrad 2 von der Pflegekasse bezuschusst. Allerdings gibt es Senioren, die mehr als zwei Monate in Euerdorf bleiben. Das jedoch ist teuer. Ein Monat im Senior:innenhotel, der komplett selbst bezahlt werden muss, schlägt mit 4500 Euro zu Buche. In jenen 21 Tagen hingegen, die von der Pflegekasse bezuschusst werden, fallen lediglich 30 Euro am Tag an. Wird zusätzlich, zum Beispiel zur täglichen Medikamentengabe, der ambulante Pflegedienst in Anspruch genommen, kann dies über die Pflegesachleistungen der Pflegekasse abgerechnet werden.

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