Eine aktivierende Form der Pflege 

Natalie Preiß, Fachärztin für Neurologie und klinische Altersmedizin, über die Akutgeriatrie

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Geriatrie ist Altersmedizin. Sie behandelt spezielle Erkrankungen von Patient:innen, die meist älter als 70 Jahre und multimorbide sind. Im Klinikum Main-Spessart in Lohr am Main gibt es seit Ende 2022 ein neues Gebäude für die Altersmedizin, welches an das Akutkrankenhaus angeschlossen ist. Hier – in der Akutgeriatrie (Krankenhaus-Bereich) und Geriatrischen Rehabilitation (Reha-Bereich) mit rund 1400 Quadratmetern und insgesamt 40 Betten – kümmert sich ein interdisziplinäres Team um die betagten Patient:innen des Landkreises und darüber hinaus. In der Rehabilitation haben Patient:innen eine sichere Rehabilitationsprognose. Die akute Erkrankung liegt hinter ihnen. „Die Akutgeriatrie dient dazu, den geriatrischen Patient:innen eine geriatrische Früh-Reha neben der stationär notwendigen, medizinischen Therapie angedeihen zu lassen“, erklärt die Chefärztin der Geriatrie, Natalie Preiß. Gedacht sei die Akutgeriatrie also für Patient:innen, bei denen eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit sowie gleichzeitig eine Indikation für eine Früh-Reha bestehe. „Jede Erkrankung im Alter, wenn sie stationär behandlungsbedürftig ist, kann in die Akutgeriatrie führen“, sagt Preiß. Zusätzlich müsse begleitend ein geriatrisches Syndrom, wie etwa Harn-Inkontinenz, kognitive Einschränkungen oder gehäufte Stürze, vorliegen. In Lohr sehen sie häufig Patient:innen nach einem Schlaganfall, einem Schenkelhalsbruch oder nach einer Operation. Geklärt werde dann nicht nur das aktuelle Problem, sondern auch Begleitumstände. „Es ist ein ‚Versuch‘, dem Patienten zurück in den Alltag zu helfen und ihn vor weiteren möglichen Komplikationen zu schützen“, erklärt sie mit Blick auf Thrombosegefahr, Lungenembolie oder Bettlägerigkeit. Das Ziel von Natalie Preiß und ihrem Team ist es, durch gezielte Maßnahmen eine Erhaltung oder schnellere Wiedererlangung von Mobilität, Selbstständigkeit und Lebensqualität bis ins hohe Alter zu erreichen. „Der Aufenthalt auf der Station der Akutgeriatrie, der bis zu 16 Tage dauert, verschafft Patient:innen und auch uns mehr Zeit, die oft im Rahmen einer normalen Krankenhausbehandlung fehlt“, betont die Medizinerin. Die Ärzt:innen arbeiten Hand in Hand mit Physio- und Ergotherapeut:innen, Logopäd:innen, Ernährungsberater:innen, Psycholog:innen und vor allem dem Pflegeteam. „Es geht um eine aktivierende Form der Pflege. Die Therapieziele für die Patient:innen werden gemeinsam formuliert.“ Es komme jedoch vor, dass solche Ziele revidiert werden müssten, sagt Preiß. Daher werde frühzeitig das Gespräch mit den Angehörigen gesucht. „Ein Großteil der Patient:innen profitiert von einem Aufenthalt in der Akutgeriatrie“, sagt die Chefärztin. Die Arbeit dort wie auch in der Geriatrischen Rehabilitation ist für sie mit Blick auf die demografische Situation in Deutschland ein absolutes Muss. Jetzt schon gäbe es eine übergroße Anzahl alter Menschen, die auf eine geriatrische Reha warten und warten, sagt Natalie Preiß, wohl wissend, dass sich die Situation weiter verschärfen wird.

www.klinikum-msp.de/akutgeriatrie

 

Selbstständigkeit ist messbar

Wie erfolgreich die Maßnahmen in der Akutgeriatrie waren, lässt sich unter anderem am sogenannten Barthel-Index (BI) ablesen. Mit ihm werden systematisch die grundlegenden Alltagsfunktionen, wie Essen, Ankleiden, Körperpflege und die Toilettenbenutzung, erfasst. Die vergebene Punktzahl gibt so Aufschluss über die Selbstständigkeit von Patient:innen. 0 bis 30 Punkte zeugen von einer weitgehenden Pflegeabhängigkeit. 35 bis 80 Punkte zeigen Hilfsbedürftigkeit an. 85 bis 95 Punkte wiederum sprechen für eine punktuelle Hilfsbedürftigkeit.100 Punkte belegen einen Zustand kompletter Selbstständigkeit bezogen auf den jeweiligen Untersuchungskontext. „In die Akutgeriatrie kommen Menschen, die akut in ihrer Selbsthilfefähigkeit bedroht sind und an einer akuten Erkrankung leiden, die eine stationäre Behandlung notwendig macht“, sagt Natalie Preiß.

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