Wenn sich der Darm nach aussen stülpt

Professor Stephan Kanzler über eine sensible Zivilisationserkrankung: die Divertikelkrankheit

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„Jährlich werden über 125.000 Patienten stationär behandelt. Ein Drittel der betroffenen Patienten ist über 75 Jahre alt“, heißt es in der ersten Deutsche Leitlinie zur Divertikelkrankheit¹. Allerdings zeige sich in den vergangenen Jahren auch eine deutliche Zunahme von jüngeren Patient:innen mit einer akuten Divertikulitis. Doch was heißt das? „Es gibt echte Divertikel, bei denen sich die ganze Darmwand ausstülpt. Das ist eher selten. In der Regel spricht man von unechten Divertikeln. Hier stülpt sich Schleimhaut zwischen Gefäßlücken hindurch, was eine Aussackung der Darmwand verursacht“, erklärt Professor Stephan Kanzler, Chefarzt der Medizinischen Klinik 2 am Leopoldina Krankenhaus in Schweinfurt. „Oft fällt das bei Menschen im Rahmen einer vorsorglichen Darmspiegelung auf. Wenn sie vorher keinerlei Symptome hatten, handelt es sich um einer reizlose Divertikulose.“ Diese könne bestimmten Darmabschnitten zugeordnet werden.

Prof. Kanzler ©vmphotodesign

Typischerweise sei sie im Sigma (Krummdarm) vorzufinden, weil dort der Stuhl am längsten stehe und schon relativ eingedickt sei. Seiner Schätzung zufolge seien fast 50 Prozent der über 50-Jährigen betroffen – und zwar beiderlei Geschlechts. In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass die sogenannte Divertikelblutung² die häufigste, unterste gastroenterale Blutung im Alter sei. Der Facharzt für Innere Medizin erwähnt den Unterschied zur Divertikelkrankheit. Hier würden wiederkehrende Beschwerden etwa linksseitige Unter- oder Mittelbauchschmerzen mit oder ohne Fieber sowie mit oder ohne Stuhlveränderung auftreten. Auch paradoxe Symptome wie Durchfall bei eigentlicher Verstopfung seien möglich, der Schleim- und Blutbeimengungen enthalten kann. Bei der Divertikulitis wiederum spreche man von einer Entzündung der Divertikel. „Das verursacht enorme Schmerzen.“ In solchen Fällen könnten auch Abszesse mit Fieber und Schüttelfrost auftreten und das Ganze, etwa im Falle einer Perforation oder bei einem Darmverschluss, sogar zu einer Not-Operation führen. Die Ursachen für Ausstülpungen des Darms sind vielfältig. „Ein Risikofaktor ist eine ballaststoffarme Kost, die zu einem deutlich reduzierten Stuhlvolumen führt“, so Professor Kanzler. Auch zu wenig Bewegung, die die Stuhlfrequenz erhöhe, zu wenig Flüssigkeit, die der Tendenz zur Verstopfung entgegenwirken solle, und zu guter Letzt Übergewicht spielen eine Rolle.

„Eine leichte Divertikulitis, die abgeklärt ist, kann man auch mal aussitzen und klingt häufig von selbst wieder ab“, so der Mediziner, der in akuten Phasen einer Entzündung ballaststoffarme Kost empfiehlt. Auch die Gabe eines Breitband-Antibiotikums und ein stationärer Krankenhausaufenthalt habe sich in diesem Stadium II bewährt. „Man würde versuchen, die Divertikulitis abheilen zu lassen. Nach etwa zwei oder drei Schüben sollte man über eine Operation nachdenken“, sagt der Arzt – dies in Absprache mit den chirurgischen Kolleg:innen. Der Grund: Im abgeheilten Zustand kann der Darm in der Regel mit einer sogenannten Schlüssellochtechnik (Laparoskopie) einseitig operiert werden. Anders sieht es bei der notfallmäßigen Operation (Obstruktion, Perforation, große Abszesse) aus, bei der in der Regel vorübergehend das Rektum verschlossen und temporär ein künstlicher Ausgang angelegt werden muss. In einer zweiten Operation wird dieser Schritt dann wieder rückgängig gemacht und die normale Darmpassage wiederhergestellt. Prävention heiße, Risikofaktoren zu reduzieren. Am besten fange man also schon in der Jugend damit an.

Quellen:
¹https://docplayer.org/113594013-Erste-deutsche-leitlinie-zur-divertikelkrankheit.html,
²https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1879412210000557

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