Drehscheibe Notaufnahme

Dr. Oliver Kuckein, Facharzt für Anästhesie, Notfall- und Intensivmedizin, über ein ressourcenintensives Konzept

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„Lauterbach plant Reform der Notfallversorgung“, titelte der Bayerische Rundfunk Mitte Januar. Der Bundesgesundheitsminister erhofft sich von den Änderungen „Einsparungen, Entlastung von medizinischem Personal und eine bessere Versorgung von Patient:innen.“ Nicht nur Dr. Oliver Kuckein, Leiter der Intensivstation mit Zentral- und Notaufnahme an der Steigerwaldklinik in Burgebrach, hat bei dieser Nachricht aufgehorcht. Denn sein Arbeitsalltag ist prall gefüllt: „Die Aufgaben sind vielfältig: Angefangen bei den Notfall-Patient:innen, die schwer oder lebensbedrohlich verletzt respektive erkrankt ankommen und es akut um Lebensrettung geht, über die Einordnung nach Schweregraden bis hin zur Erstellung von Arbeitsdiagnosen, um im Krankenhaus die richtigen Wege zu bahnen.“ Die Notfallmedizin, betont der erfahrene Facharzt, sei nicht planbar. Das Team von Dr. Kuckein hat daher eine „einfache“ Regel für die „Drehscheibe“ Notaufnahme: Es werde nach Erscheinen abgearbeitet, aber die schweren Fälle vorgezogen. „Dafür gibt es gesetzlich vorgeschriebene Triage-Systeme, die sich aus Schweregradeinteilungen in der Kriegsmedizin entwickelt haben“, erklärt er. „Mit diesen werden Krankheitsschweren festgelegt.“ In Deutschland seien der Emergency Severity Index (ESI) und das Manchester Triage System (MTS) am etabliertesten. In Burgebrach kommt ESI zur Anwendung, ein 5-Stufen-Triage-Algorithmus. In die ersten beiden Kategorien würden die akut lebensbedrohlichen Notfälle eingeordnet, so Kuckein, zum Beispiel Patient:innen, die unter Herzdruck-Massage, mit akutem Herzinfarkt oder beatmet eingeliefert würden. Hier gebe es Zeitvorgaben, wann ein Arzt-Kontakt stattfinden müsse – in obigen Fällen, die in die Stufe 1 fallen, sofort. Stufe 2 wären etwa Patient:innen mit starken Schmerzen oder Blutungen. Hier müsse ein:e Ärzt:in binnen zehn Minuten zur Stelle sein. „Ab Kategorie drei gibt es keine vorgeschriebenen Zeiten mehr.“ Alle Patient:innen müssten aber spätestens zehn Minuten nach Betreten der Klinik triagiert sein. „Ein ‚klassischer‘ ESI-5-Patient wäre jemand, der sich vor zwei Tagen in den Finger geschnitten hat“, sagt Dr. Kuckein, der damit ein ernstes Problem anspricht. Jeder hat Zugang und Recht auf Notfallversorgung. Das führt aber vielfach dazu, dass Patient:innen, die keinen Fachärzt:innen-Termin bekommen oder nur kleinere Malaisen haben, in der Notaufnahme auftauchen und Kapazitäten binden. Die Klinik habe eben alle Möglichkeiten der Diagnostik vor Ort, so Kuckein mit Blick auf jene, die lange Wartezeiten bei Fachärzt:innen vermeiden möchten. „Unser Ansinnen ist es zudem, dass jemand mit Bagatellen gar nicht erst zu uns kommt“, sagt der Mediziner. Eine Universallösung hat Dr. Kuckein für diese Probleme nicht. Ob die aktuellen Pläne von Karl Lauterbach, die unter anderem auf mehr telefonische Betreuung und Telemedizin setzen, eine solche bringen, ist offen. Denn Kuckein sieht vor allem ein „großes Grund-Problem in der Bevölkerung“ selbst. „Es gibt fast keine Gesundheitskompetenz mehr. Die Menschen – vor allem jüngere – kommen mit kleinsten ‚Wehwehchen‘ nicht zurecht.“ Das führe zur Überlastung der Ärzt:innen – nicht nur im Krankenhaus. Bei welchen Symptomen ist der Gang in die Notaufnahme also sinnvoll, wann wählt man gar die 112? „Das ist schwierig zu definieren, da hier immer subjektives Empfinden eine Rolle spielt“, sagt Kuckein. Der Rettungsdienst sollte aber auf jeden Fall gerufen werden, wenn akut lebensbedrohliche Symptome, wie Atemnot oder stärkste Schmerzen, vorlägen. Das gelte auch bei schweren Unfällen. Das personal- und technikintensive Konzept „Notaufnahme“ ist auf Kante genäht. Und das nicht nur aus finanzieller Sicht. Dr. Kuckein wünscht sich daher unter anderem eine stärkere Einbindung von niedergelassenen Kolleg:innen in akute Notfälle. Professor Lauterbach möchte das mit integrierten Notfallzentren, bestehend aus einer Notaufnahme und einer kassenärztlichen Praxis, vorantreiben. Was sich am Ende umsetzen lässt, schließlich wollen viele mitreden, wird sich weisen. Überfällig sei die Reform allemal.

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