“ Ich will es schaffen. Ich will leben!”

Die Organspende-Situation in Deutschland ist prekär. Brigitte Meister gehörte zu den Glücklichen, die ein neues Organ und damit ein zweites Leben geschenkt bekommen haben

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Brigitte Meister ©Nicole Oppelt

Anfang 2024 war es so weit: Das übergeordnete Organspende-Register ging an den Start. Dabei handelt es sich um ein zentrales elektronisches Verzeichnis, in dem die Entscheidung für oder gegen eine Organ- und Gewebespende detailliert festgehalten werden kann. Ein solcher Eintrag ist kostenlos, freiwillig und kann jederzeit widerrufen werden. Möglich ist dieser ab 16 Jahren. „Auf diese mehrfach verschlüsselte Plattform haben nur berechtigte Personen, unter anderem Ärzt:innen im Krankenhaus, Zugriff“, erklärt Dr. Anna Laura Herzog, Leiterin des Transplantationszentrums am Universitätsklinikum Würzburg (UKW). Laut der Fachärztin für Innere Medizin und Nephrologie, Diabetologie und Notfallmedizin soll diese digitale Lösung den Organspendeausweis nicht per se ersetzen. Sie sieht das neue Angebot als sinnvolle Ergänzung. „Im Härtefall nimmt es Angehörigen den Druck, eine Entscheidung treffen zu müssen.“ Die Organspende-Situation in Deutschland ist prekär. Der Medizinerin zufolge würden derzeit fast 9.000 Patient:innen auf ein Organ warten. Allein 2022 seien über 4.600 neu dazugekommen. Nur rund 2.800 Menschen würden jedes Jahr transplantiert. „20 bis 25 Prozent sterben auf der Warteliste“, so Herzog. An der Spitze der benötigten Organe stünde die Niere. Hier bestünden Wartezeiten von zehn bis zwölf Jahren. Der „einzige Vorteil“ hier sei, dass es ein maschinelles Verfahren (Dialyse) gebe, welches die Menschen am Leben erhalte. „Es ist aber ein schlechteres und kürzeres Leben als mit einer Spenderniere.“ Anders verhalte es sich bei der Lunge. Im Augenblick gebe es etwa 300 Personen in Deutschland, die eine solche benötigen. „Sie sterben, wenn sie nicht schnell genug ein Organ bekommen.“ Das gelte auch bei Leberversagen. Hier ginge es um Tage. Die Organvergabe erfolge nach strengen Kriterien, die für jedes Organ anders seien. Im Fokus stünden dabei die Wartezeit, die Dringlichkeit sowie die „Erfolgsaussichten“, die vom Gesamtzustand der Patient:innen abhingen. Gerade letzterer Aspekt sei der Knappheit geschuldet, betont Dr. Herzog. Kein Organ dürfe „verschwendet“ werden. Doch wer entscheidet über Leben oder Sterben? „Im Transplantationszentrum entscheidet eine interdisziplinäre Konferenz darüber, ob ein:e Patient:in für die Warteliste geeignet ist“, erklärt die Ärztin. „Die Organverteilung selbst geschieht zentral, nach fest vorgegebenen Algorithmen (Punktesystem) über Eurotransplant.“ Speziell wird es beim Thema „Herz“. „Hier ist die Wartezeit vom Grad der Herzschwäche abhängig“, sagt Dr. Herzog. Rund 350 würden pro Jahr in Deutschland transplantiert – vergeben über eine Hoch-Dringlichkeit-Skala. „Die Herzschwäche muss derart ausgeprägt sein, dass die:der Patient:in teilweise auf eine dauerhafte Herzunterstützung angewiesen ist.“ Was das für die Betroffenen bedeutet, ist kaum vorstellbar. In der Regel verbringen sie drei bis sechs Monate auf der Intensivstation. Sie hängen an Monitoren, haben Dauerzugänge, die sie mit Medikamenten versorgen, oder sind sogar mit tragbaren Unterstützungssystemen versorgt, die direkt in ihr Herz führen. „Das ist physisch und psychisch sehr belastend“, erzählt die Ärztin. Eine, die dieses Damoklesschwert über dem eigenen Haupt erlebt hat, ist Brigitte Meister. Sie litt an einer lebensbedrohlichen Herzinsuffizienz und erhielt im April 2012 ein neues Herz. Bis 2003 sei das Leben der einstigen Arzthelferin normal verlaufen, erzählt sie im Gespräch mit der Lebenslinie. Kerngesund sei sie gewesen. Doch das änderte sich. „Damals wurde festgestellt, dass ich eine Herzerkrankung habe, und eine ICD-Implantation vorgenommen. 2009 wurde das Aggregat gewechselt.“ Lange Zeit ging es ihr damit gut. Doch im August 2011 dann der Schock. Sie braucht ein neues Herz. „Diese Situation hat mich regelrecht überfahren. Ich habe einfach keine Luft mehr bekommen. Dabei hatte ich so viel zu tun“, sagt sie. Schwächer und schwächer sei sie geworden, berichtet die 66-jährige Seniorin, die sich heute in Selbsthilfegruppen als Beraterin bei Herzschwäche und Organtransplantation engagiert. Der erste Verdacht: „Ich habe bestimmt eine Erkältung nicht auskuriert.“ Doch es kam anders. Einen Tag nach dem Besuch beim Hausarzt ging es direkt ins Herzzentrum des Universitätsklinikums Würzburg. Diagnose: Herzmuskelentzündung. In ihrem Herzbeutel und ihrer Lunge hatte sich Wasser eingelagert. Ihr Zustand sei damals sehr schlecht gewesen, erinnert sie sich. „Ich wusste nicht, wie es mit mir weitergeht. Was passiert hier? Werde ich überleben? Mein Kopf fuhr Karussell“, schildert sie die dramatische Situation. Eine umfangreiche Dauer-Medikation sollte Brigitte Meister wieder auf die Beine helfen. „Ich will es schaffen. Ich will leben!“, lautete damals das Credo der gebürtigen Mannheimerin. Und das, obwohl es ihr an manchen Tagen so schlecht ergangen sei, dass sie nicht einmal imstande war zu sprechen. Ihre Herzinsuffizienz hatte ihren gesamten Körper in Mitleidenschaft gezogen. Die Konsequenz: Mit 54 Jahren kam sie auf die Warteliste für eine Herztransplantation und musste regelmäßig zur Untersuchung. In den darauffolgenden Monaten verschärfte sich die Situation: Zunehmend litt sie unter Wassereinlagerungen. „Zuletzt wog ich fast 100 Kilo und wurde die eingelagerte Flüssigkeit einfach nicht los, obwohl ich kreislaufunterstützende Medikamente bekam“, erzählt sie. Dieser Umstand beförderte sie in die Hoch-Dringlichkeitsstufe. „Meine Herzleistung lag bei unter zehn Prozent. Ich war am Boden zerstört“, erzählt Meister. „Ich war froh, dass mich mein zweiter Ehemann damals jeden Tag besucht hat. Er hat mir viel Kraft gegeben. So etwas steht man nicht allein durch.“ Sie hatte Glück: Nach drei Wochen fand sich ein Spenderherz. Drei Tage lang lag sie nach der Operation im UKW im künstlichen Koma. Ihr Körper hatte das Organ akzeptiert. „Das neue Herz ist mein Freund. Ich war einfach dankbar. Mir wurde ein zweites Leben geschenkt!“, sagt sie. Doch der Genesungsprozess inklusive Rehabilitation gestaltete sich langwierig und verlief weiß Gott nicht glatt. Erst nach einigen Wochen sei sie wieder in der Lage gewesen zu laufen. Seither erlebte sie immer wieder gesundheitliche Höhen und Tiefen. „Man muss kämpfen“, betont sie immer wieder. Mittlerweile lebt Brigitte Meister im Landkreis Kitzingen. Sie ist verwitwet. Doch ihr geht es so weit gut. Sie hört auf ihren Körper, ist aktiv. Aber vor allem: Sie sprüht vor Lebensfreude und möchte anderen Menschen in ähnlichen Situationen eine Stütze sein.

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