Wenn Naturheilkunde die erste Wahl ist

Professor Jost Langhorst über Diagnose und Therapie des Fibromyalgiesyndroms

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Über Monate, wenn nicht Jahre, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, chronische Müdigkeit, Morgensteifigkeit, Depressivität oder Ängstlichkeit, und dann kommt auch noch ein Reizdarmsyndrom hinzu: Wenn Symptome wie diese mit Schmerzen in verschiedenen Körperregionen einhergehen, kommt ein Verdacht auf – Fibromyalgie.
Professor Jost Langhorst ist Spezialist für diese Schmerzerkrankung. Er ist Chefarzt der Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde am Klinikum am Bruderwald der Sozialstiftung Bamberg, einer von nur drei integrativen Abteilungen in Deutschland, die in einer Akutklinik zu finden und mit einem universitären Lehrstuhl ausgestattet sind.

„Es ist eine Ausschlusserkrankung, ein funktionelles Syndrom, das das Ende eines Kontinuums darstellt. Wie es entsteht, ist im Einzelfall sehr unterschiedlich“, erklärt Professor Langhorst. Mediziner gehen von einer Schmerzerkrankung aus, die sich aus dem Bild des multilokulären Schmerzes, also Schmerzen an mehreren Stellen des Körpers, ergibt. Wenn weitere Beschwerden dazu kommen und bestimmte Kriterien erfüllt sind, dann spricht man vom Fibromyalgiesyndrom. „In den letzten 20 Jahren hat hier ein Haltungswandel stattgefunden“, so der Arzt. Einst wurde Fibromyalgie oftmals verneint und die Patienten, hauptsächlich Frauen, die in der Regel nach dem 50. Lebensjahr betroffen sind, hätten statt Hilfe eher eine zusätzliche Stigmatisierung erfahren.

Prof. Langhorst ©Jost Langhorst

Das sei nun vorbei, verweist Langhorst unter anderem auf die interdisziplinären S3 Leitlinienerstellung zum Fibromyalgiesyndrom¹ an der er als Co-Autor mitgewirkt hat. Heute gibt es eine klare Definition: „Seit mehr als drei Monaten müssen Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule im sogenannten Achsenskelett, in der rechten und linken Körperhälfte sowie oberhalb und unterhalb der Taille bestehen. Dazu gibt es begleitende Symptome, die die Diagnose konsolidieren.“ Die Forschung verweise zudem darauf, dass elf von 18 am Körper befindlichen sogenannten Triggerpunkten positiv sein müssen, so der Internist weiter, wobei das für die Diagnose keine zwingende Voraussetzung darstelle.

Um der Fibromyalgie auf die Spur zu kommen, bedarf es Zeit, denn es müssen andere Diagnosen ausgeschlossen werden. Und das stellt Ärzte vor Herausforderungen. Denn die chronische Schmerzerkrankung wird im rheumatischen Formenkreis angesiedelt. „Auf den zweiten Blick ist das problematisch“, sagt der Chefarzt. „Klassisches Rheuma ist eine

entzündliche Erkrankung. Fibromyalgie ist das nicht.“ Wenn also eine Entzündung nachgewiesen werde, müsse das Fibromyalgiesyndrom ausgeschlossen werden. Umgekehrt könne sich aber aus einer lokalisierten chronischen Schmerzstelle am Körper über Jahre ein Fibromyalgiesyndrom entwickeln. Auch andere Vorhersagevariablen sind Langhorst zufolge bekannt. Zu ihnen gehören Faktoren wie Genetik, Allergien, Rauchen, Gewalterfahrung, Mobbing am Arbeitsplatz, die jedoch nicht spezifisch für das Fibromyalgiesyndrom seien.

 

Herrscht Klarheit, setzen Professor Langhorst und sein Team auf ein multimodales Therapiekonzept. Begonnen wird mit einer ambulanten Basistherapie. Man kümmert sich rund sechs bis zwölf Monate ambulant um verschiedene Faktoren der Therapie. Falls das nicht ausreicht, geht es multimodal weiter, will heißen, man setzt mehrere Therapieverfahren parallel ein, aber immer noch ambulant. Fruchtet das nach einem Jahr alles nicht ausreichend, ist es Zeit über einen stationären Aufenthalt nachzudenken. Das Ziel „Schmerzfreiheit“ ist häufig nicht realistisch, da das Fibromyalgiesyndrom bis dato formell nicht heilbar ist. Stattdessen sollen die Verbesserung der Lebensqualität und der Erhalt der Alltagsfunktionalität Hauptziele der Therapie sein.

„Das Fibromyalgiesyndrom ist keine Erkrankung, die in erster Linie pharmakologisch behandelt wird“, so Langhorst. „Medikamente sind eher als ‚Krückstock‘ anzusehen.“ Bestimmte Schmerzmittel könnten aber laut Leitlinie – immer unter Überprüfung von Nutzen und Nebenwirkungen – eine gewisse Zeit eingesetzt
werden. Die meisten Antidepressiva wiederum würden nur bei der Co-Diagnose „Depression“ Sinn ergeben. „Der Kern der Behandlung liegt in Verfahren der klassischen Naturheilkunde“, betont der Mediziner. Der wichtigste Ansatz für diese Patienten sei die Bewegungstherapie. „Die Patienten sollen sich moderat regelmäßig bewegen – sowohl im Ausdauerbereich als auch im Krafttraining. Eine nachgewiesen wirksame Therapieform ist zum Beispiel die Bewegung im Wasser.“ Daneben spielen dem Arzt zufolge mediative Bewegungsformen wie Yoga oder Qigong (als sogenannte Meditative Movement Therapies), für die es eine positive Empfehlung in der Leitlinie gibt, eine Rolle. „Bei der Stressreduktion punkten achtsam- keitsbasierte Verfahren, die in meiner Klinik ein zentrales Element in der naturheilkundlichen Ordnungstherapie spielen.

Auch setzt der 54-Jährige auf verhaltenstherapeutische Strategien. Eine große Bedeutung misst der Professor der Wärme bei. „Davon profitieren die allermeisten Patienten.“ In Bamberg hat man eigens hierfür zwei Ganzkörper-Hyperthermie-Geräte angeschafft. Bei dem Verfahren wird die Körperkerntemperatur auf bis zu 38,5 Grad erhöht, wodurch viele Patienten eine Symptomlinderung erfahren. Bei dem Fibromyalgiesyndrom hat, wie bei vielen anderen Erkrankungen auch, das Thema Er- nährung einen hohen Stellenwert. Denn auch Adipositas zählt nach den Leitlinien zu den Risikofaktoren. Der Spezialist empfiehlt eine pflanzenbasierte, mediterrane Vollwert-Kost, die in der Klinik eine wichtige Therapiesäule auf Station darstellt. In Bamberg wird darüber hinaus das Kurzzeit-Heilfasten nach Buchinger praktiziert. Zu diesen Verfahren gesellen sich naturheilkundliche Selbsthilfestrategien,
wie Wickel oder Auflagen, wenn zum Beispiel bestimmte Gelenke betroffen sind. Auch die Schröpfkopf- oder GuaSha-Massage findet Anwendung, um „unmittelbar am Bindegewebe ansetzen zu können“.

Interessant zudem: „Es gibt auch positive Studien zur Akupunktur. Wir wenden insbesondere die Ohr-Akupunktur an.“ All diese Aspekte ergänzen sich zu einem „multimodalen Konzept“, von dem die Patien- ten während ihres zehn- bis vierzehntägigen Aufenthaltes profitieren und das in der Folge ambulant weitergeführt werden kann. „Das Repertoire der Naturheilkunde ist bei diesem Syndrom also genau das, was wir brauchen – zudem ist sie besonders wirksam“², sagt der Arzt, der bei all seinen naturheilkundlichen Ansätzen auch die Schulmedizin nicht aus dem Blick verliert. Die Kombination aus Naturheilkunde und konventioneller Medizin in einem Integrativen Ansatz ist das Credo der Versorgung in der Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde in Bamberg. Die Kosten für eine stationäre Therapie werden in der Regel von allen Krankenkassen getragen.

Quellen:
¹ https://www.awmf. org/uploads/tx_szleitlinien/145-004m_S3_Fibromy- algiesyndrom_2017-05.pdf,
² https://www.springer- medizin.de/der-deutsche- bromyalgieverbraucherbe- richt/8562142

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