Wenn Menschen lebensmüde werden

Dr. Notker Zorn und Dr. Titus Jacob, Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, über Suizidprävention

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Dr. Notker Zorn und Dr. Titus Jacob©F. Jacob

2022 haben sich täglich fast 28 Menschen das Leben genommen.1 Im Vergleich: Sieben sind durch einen Verkehrsunfall und fünf durch Drogenkonsum gestorben. Damit ist klar, bei der Suizidprävention besteht Handlungsbedarf. Doch wie erkennt man, dass ein Mensch mit dem Gedanken spielt, sich umzubringen? „Betroffene sind meist eingeengt auf den Gedanken, nicht mehr leben zu wollen, und äußern es auch“, wissen die beiden Oberärzte im Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss Werneck, Dr. Notker Zorn und Dr. Titus Jacob. Den Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie zufolge gebe es aber Abstufungen: „Manche:r denkt ab und an daran, nicht mehr leben zu wollen, ein:e andere:r hat Überlegungen, wie sie:er sich umbringen könnte, wieder ein:e andere:r hat bereits einen konkreten Plan.“ Wichtig sei es, solche Äußerungen ernst zu nehmen und nicht nach dem Motto zu verfahren: „Hunde, die bellen, beißen nicht.“  Natürlich gebe es auch diejenigen, die den festen Entschluss hätten, einen Suizid zu begehen, und nicht darüber sprechen wollten. Die meisten Suizide, nämlich 90 Prozent, aber fänden im Rahmen einer psychischen Erkrankung statt, etwa einer Depression, einer Abhängigkeitserkrankung oder einer Psychose. Hier sei es wichtig, auf Veränderung von Stimmung und Verhalten zu achten. „Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Betroffenen zu helfen“, betonen Dr. Zorn, Oberarzt der Forensischen Klinik, und Dr. Jacob, Oberarzt der Kriseninterventionsstation. Wer sich mit Suizidgedanken trage, könne sich an seinen Hausarzt wenden. Im Notfall sei auch jederzeit die Aufnahme in einer psychiatrischen Klinik möglich. Darüber hinaus würden weitere Hilfsangebote wie kirchliche Träger oder der Unterfränkische Krisendienst existieren. „Wer sich überfordert fühlt, einem Betroffenen zu helfen, sollte ihn:sie auf die entsprechenden Angebote aufmerksam machen und unter Umständen auch bei der Inanspruchnahme unterstützen.“ Das Suizidrisiko sei ihnen zufolge von verschiedenen Faktoren abhängig. Dazu zählten: männliches Geschlecht, höheres Lebensalter, Suizidversuche in der Vergangenheit, Einsamkeit, psychische und schwere körperliche Erkrankungen. „Je mehr dieser Faktoren zusammenkommen, desto höher die Gefahr.“ Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist mittlerweile auch das Internet. Kann Selbstmordgedanken durch Mobbing in sozialen Netzwerken entgegengesteuert werden? Laut den Wernecker Experten gilt: „Die eigenen Gefühle ernst nehmen und sich helfen lassen!“ Wer sich in sozialen Netzwerken gemobbt fühlt, der sollte sich, zumindest vorübergehend, von dort zurückziehen. Doch wie steht es um ältere Menschen? Destatis zufolge habe das Durchschnittsalter der Männer, die sich umbrachten, im Jahr 2022 bei 60,3 Jahren gelegen. Frauen seien zum Zeitpunkt des Suizids im Schnitt 61,9 Jahre alt gewesen. Dr. Zorn und Dr. Jacob erklären dies mit dem Auftreten von körperlichen Erkrankungen im höheren Lebensalter. Frühere Interessen oder Lieblingsbeschäftigungen könnten unter Umständen nicht mehr ausgeübt werden, hinzu käme oft ein Verlust sozialer Kontakte. Dieser sogenannte „Verstärker-Verlust“ begünstige das Entstehen einer Depression, das Leben werde zunehmend als nicht mehr lebenswert empfunden. In ihrem klinischen Alltag pflegten sie einen behutsamen Umgang mit Patient:innen, die sich das Leben nehmen wollen. „Zunächst einmal bewerten wir das Suizidrisiko“, so die beiden Ärzte. „Ob jemand bereits versucht hat, sich das Leben zu nehmen, spielt bei der Bewertung eine Rolle, ist aber nicht das einzige Kriterium.“ Je nach Schwere der Erkrankung finde die Behandlung auf einer beschützenden oder einer offen geführten Station statt. Die Möglichkeit, Ausgang wahrzunehmen, werde hier individuell festgelegt, zum Beispiel nur zeitlich begrenzt und in Begleitung. „Neben stützenden Gesprächen werden Ergo- und Sporttherapie, seelsorgerische Begleitung und Psychopharmakotherapie (angstlösende Mittel, Antidepressiva) angeboten.“ Grundsätzlich sei die Behandlung individuell zugeschnitten, sie richte sich nach der Schwere der Erkrankung, den Bedürfnissen, Erwartungen und Fähigkeiten des:der ­Patient:in. Und wie sieht ihnen zufolge erfolgreiche Suizidprävention aus? „Unabhängig vom Alter spielt Aufklärung eine große Rolle“, betonen beide. Psychische Erkrankungen im Allgemeinen seien immer noch ein Tabuthema, viele Betroffene fühlten sich stigmatisiert und trauten sich daher nicht, Hilfe anzunehmen. „Je offener wir in unserer Gesellschaft mit psychischen Erkrankungen und Suizidalität umgehen, desto besser werden wir Betroffenen helfen können.“ Mit Blick auf ältere Menschen stellen sie zudem das Thema Kontaktpflege in den Vordergrund. Außerdem sollten Senior:innen so weit wie möglich aktiv bleiben. „Aktivität und Geselligkeit stärken unsere Gesundheit ganz wesentlich, körperlich wie psychisch. Dafür kann jede:r etwas tun!“

Quelle: 1 www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/Tabellen/suizide.html

www.psychiatrie-werneck.de

 

Hilfe bei Suizid-Gedanken

Wenn es Ihnen nicht gut geht oder Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das können Freund:innen oder Verwandte sein oder zahlreiche andere Hilfsangebote wie der „Unterfränkische Krisendienst“: 0800.6553000. Die Telefonseelsorge etwa ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0800.1110111 und 0800.1110 222
erreichbar. Es gibt bei Selbstmordgedanken auch E-Mail-Beratungen oder Hilfe-Chats und für Kinder und Jugendliche wurde die „Nummer gegen Kummer“ ins Leben gerufen (116 111). Die Gesellschaft für Suizidprävention führt eine Übersicht der Angebote auf ihrer Webseite www.suizidprophylaxe.de.

www.suizidprophylaxe.de/hilfsangebote/hilfsangebote/

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