Angst als Signalgeber


Dr. Christoph Lehner, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, über Ängste

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Vom 10. bis 20. Oktober findet die „Woche der Seelischen Gesundheit“ statt. In dieser Zeit setzt sich die bundesweite Aktion unter dem Motto „Zusammen der Angst das Gewicht nehmen“ mit Ängsten in Krisenzeiten auseinander. „Angst ist ein Gefühl und geht durch die Ausschüttung von Hormonen mit körperlichen Reaktionen einher“, erklärt Chefarzt Dr. Christoph Lehner, Leiter der Psychosomatischen Fachabteilung an der Steigerwaldklinik in Burgebrach. „Sie ist menschlich und damit real in Bezug auf Wahrnehmung und inneres Erleben.“ Es gehe eher um die Entscheidung, ob der Einzelne konstruktiv oder destruktiv mit ihr umgehe. „Angst ist für das Überleben unverzichtbar“, hat die Publizistin Hannah Arendt einmal gesagt. „Sie hatte recht“, so Dr. Lehner. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie differenziert: Die natürliche Form der Angst sei ein Signalgeber mit Schutzfunktion. Andererseits gebe es die krankhafte Form. „Diese kann alle Lebensbereiche einschränken.“ Betroffene beschreiben sie als „übermächtig“. Zu den häufigsten Angststörungen zählen dem Experten zufolge die Panikstörung mit einem akuten Geschehen und schnell einschießenden Attacken, die Agoraphobie (Platzangst), die soziale Phobie, die laut Dr. Lehner eine hohe Dunkelziffer habe, da es zahlreiche Vermeidungsmöglichkeiten gebe, sowie die generalisierte Angststörung, einer Art chronischer Variante der Panikstörung auf „niedrigerem Niveau“. „Die Patient:innen erleben permanent Angst und Sorge. Sie sind dauerhaft angespannt.“ Darüber hinaus gebe es die spezifischen Phobien, etwa Angst vor Spinnen oder Höhe. Durch Vermeidungsstrategien trete auch bei ihnen die Therapierelevanz seltener zutage. Mit Blick auf krankhafte Ängste stimmt Dr. Lehner dem US-amerikanischen Philosophen und Schriftsteller Ralph Waldo Emerson zu, der sagte: „Mach immer das, wovor du Angst hast.“ Denn Patient:innen würden in der Therapie lernen, an diesen Punkt zu kommen und ihn zu überwinden. „Tun sie das nicht, kommen sie immer mehr in die Vermeidung und in den Rückzug. Die Lebensqualität leidet.“ Das Ziel: Die Angst wird in einem geschützten, vertrauensvollen Rahmen durch offene Gespräche von ihrem „Thron“ gestoßen und eines Tages wieder als „normales“ Gefühl empfunden. Es wird gemeinsam danach geforscht, wie die jeweilige Angst zustande kam. Es werde versucht, ihr zum Beispiel mit Konfrontationstherapie zu begegnen, erklärt der Experte. Daneben werden Akuthilfen für den Alltag, wie Atemübungen oder Entspannungsmethoden, vermittelt, um wieder zurück zu sich selbst zu finden. Eine kontrollierte, unterstützende Medikation sei ebenfalls denkbar. Er betont: „Therapieziel kann nie sein, keine Angst mehr zu haben.“ Das sei sogar gefährlich. Es gehe um Differenzierung, darum, Freude, Wut und vieles mehr wieder erleben zu können. Ist Angst der „Fluch des Menschen“, wie der russische Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski meinte? „Sie kann hilfreich sein, wenn ich lerne, mit ihr umzugehen, sie zu verstehen und zu nutzen“, entgegnet Dr. Lehner. „Sie wird zum Fluch, wenn ich mich von ihr bestimmen lasse“, sagt der Experte.

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