Wenn das Leben Fragen stellt

Psychologischer Berater Nikolaus Büchel über Logotherapie

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„Die Frage ist falsch gestellt, wenn wir nach dem Sinn des Lebens fragen. Das Leben ist es, das Fragen stellt; wir sind die Befragten, die zu (ver)antworten haben“, meinte Victor E. Frankl (1905-1997), österreichischer Neurologe und Psychiater und Begründer der Logotherapie, die vielfach als die „Dritte Wiener Schule der Psychotherapie“ bezeichnet wird. Lebenslinie hat sich mit Nikolaus Büchel unterhalten, der als psychologischer Berater sinnzentrierte Psychotherapie nach Viktor E. Frankl für Einzelpersonen und Gruppen anbietet. Wir wollten wissen, wie man auch in schwierigen Zeiten wieder zum Gestalter seines Lebens wird und sinnhaftes Leben gelingt. 

Lebenslinie (LL): Was versteht man unter Logotherapie?

Nikolaus Büchel (NB): „Die Logotherapie (von griechisch lógos ,Sinn, Gehalt‘ und therapeúein ,pflegen, sorgen‘) ist eine sinnzentrierte und wertorientierte Psychotherapie und Beratung, die Menschen in Lebensfragen und Krisensituationen begleiten kann. Viktor E. Frankl hat abgrenzend zu Sigmund Freuds Psychoanalyse und Alfred Adlers Individualpsychologie einen eigenständigen Ansatz entwickelt, die er „Logotherapie“ und „Existenzanalyse“ nannte. Logotherapie ist nicht zu verwechseln mit Logopädie.“

LL: Die auf dem bislang gegangenen Lebensweg gemachten Erfahrungen, positiv wie negativ, prägen Menschen und haben Auswirkungen auf Zukünftiges. Wie kann Logotherapie hier helfen?

NB: „Der Ansatz der Logotherapie begründet sich in der Annahme, dass das Wirken und Tun des Menschen danach strebt, einen Sinn zu ergeben. Die Logotherapie kann insofern helfen, indem sie Klient:innen in der Eigenverantwortung begleitet und dazu bewegt, ihr Leben sinnhaft zu gestalten. Will heißen, Verantwortung zu übernehmen und vom Opfer zum Gestalter seines Lebens zu werden. Freiheit, Krise, Sinnhaftigkeit, Verantwortung, Entscheidung, Umfeld und Umwelt sind hier Schlüsselbegriffe.“

LL: Bei der Logotherapie geht es um das fakultative, nicht das faktische Sein. Was bedeutet das?

NB: „Nach Auffassung der Logotherapie ist der Mensch ein entscheidungs- und willensfreies Wesen. Er ist befähigt, eigenverantwortlich Stellung zu beziehen, sowohl zu seinen psychologischen, biologischen als auch zu den sozialen Bindungen. Diese Freiheit zu entscheiden, kann durch körperliche oder psychische Krankheit sowie andere Umstände eingeschränkt oder sogar aufgehoben sein, was aber nicht zwingend heißt, dass sie nicht vorhanden ist.“ 

LL: Welche konkreten Beispiele aus Ihrer Praxis (etwa die Arbeit mit Krebspatient:innen) können Sie anführen, in denen mittels Logotherapie herausfordernde Situationen besser bewältigt wurden?

NB: „Herausfordernde Situationen gibt es bei Krebserkrankungen zu Genüge. Die Logotherapie hilft, dass ein:e Krebspatient:in, trotz der Erkrankung, ,Ja‘ zum Leben sagt. Beispielsweise haben es viele Krebspatient:innen geschafft, zusammen mit ihren Familien im Rahmen eines Wochenend-Seminars in den Bergen die Krankheit ein Stück weit aus dem Mittelpunkt zu rücken.“

LL: Welche Menschen in welchen anderen Situationen können darüber hinaus von dieser Therapieform profitieren? 

NB: „Die Logotherapie kann immer dann unterstützen, wenn das Leben Fragen stellt, sei es in einer Lebenskrise und/oder Beziehungskrise, bei Enttäuschungen, Belastungen und/oder Konflikten, bei Orientierungslosigkeit, Persönlichkeitsentwicklung oder bei dem Umgang mit Trauer. Ebenso helfen kann sie Menschen mit Lebensangst und Lebensmüdigkeit und/oder Menschen mit beruflichen Identitätskonflikten. Das Menschenbild und die Wertekategorien der Logotherapie können aber auch im ganz normalen Leben, ohne Krisen und Schicksale, eine sinnvolle Lebensausrichtung sein.“

LL: Ist in der Logotherapie der Weg das Ziel oder das Ziel das Ziel?

NB: „Sich auf den Weg zu machen, ist das Ziel!“

Das Interview mit Nikolaus Büchel, psychologischer Berater für sinnzentrierte Psychotherapie nach Viktor E. Frankl, führte Lebenslinie Chefredakteurin Susanna Khoury.

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