Von der Last auf den Schultern

Oberarzt Piet Plumhoff über den Schulterschluss konservativer und operativer Verfahren in der Orthopädischen Klinik König-Ludwig-Haus Würzburg

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„Ich operiere kein Röntgenbild. Wenn der Patient meint, er kommt mit den Beschwerden in seinem Alltag zurecht, weil er alles machen kann, was er machen will, dann ist höchstens Physiotherapie angesagt. Es gibt aber auch Patienten, die haben extreme Schmerzen und auf dem Bild sieht man fast gar nichts. Da muss man gut überlegen... Und es gibt ganz klare Hinweise, die sagen, hier ist eine OP angezeigt, hier ist ein künstliches Gelenk nötig, weil irgendwann der Knochen abgerieben ist“, erzählt Piet Plumhoff aus seiner täglichen Praxis. Foto: Susanna Khoury

„Ich operiere kein Röntgenbild. Wenn der Patient
meint, er kommt mit den Beschwerden in seinem
Alltag zurecht, weil er alles machen kann, was er
machen will, dann ist höchstens Physiotherapie angesagt.
Es gibt aber auch Patienten, die haben extreme
Schmerzen und auf dem Bild sieht man fast gar nichts.
Da muss man gut überlegen… Und es gibt ganz klare
Hinweise, die sagen, hier ist eine OP angezeigt, hier
ist ein künstliches Gelenk nötig, weil irgendwann der
Knochen abgerieben ist“, erzählt Piet Plumhoff aus
seiner täglichen Praxis. Foto: Susanna Khoury

Schmerzen im Bereich der Schulter sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen: Ob degenerative Veränderungen im Bereich der Schultermuskulatur, wie zum Beispiel der Rotatorenmanschette (das sind vier Muskeln, die das Schultergelenk umspannen), Arthrose (Knorpelverschleiß), Luxation (Auskugelung), Humerusfraktur (Bruch des Oberarmknochens) oder Engpass-Syndrom (Impingement).

„Das Schultergelenk ist unser beweglichstes Gelenk im Körper, leider auch eines der Anfälligsten“, betont Oberarzt Plumhoff aus dem König-Ludwig-Haus (KLH).

Das Schultergelenk ermöglicht sechs Hauptbewegungen des Armes: das Abspreizen, das Heranführen, das nach vorne Hochheben und das nach hinten Hochheben sowie das nach Innen- und Außendrehen.

Das Schultergelenk verbindet den Oberarm mit dem Rumpf und ist von einer Gelenkkapsel umschlossen. Die Schulter wird hauptsächlich durch Muskulatur gehalten (wie die der Rotatorenmanschette).

„Dieser Grad an höchstmöglicher Freiheit in der Bewegung wird auf der anderen Seite durch Instabilität erkauft, so Piet Plumhoff. Bereits ungewohntes über Kopfarbeiten kann zu Beschwerden im Schulterbereich führen, die sich in der Regel aber durch Physiotherapie beheben lassen.

Der Kraftaufwand, der zu schultern ist, bei leichtesten Alltagsbewegungen wie Haare kämmen oder Hochheben eines vollen Glases vom Tisch, werde gerne mal unterschätzt, so der Schulter- und Ellenbogen-
Spezialist des König-Ludwig-Hauses: „Beim Heben eines Glases lasten 100 Prozent des eigenen Körpergewichts auf der Schulter, beim Haare kämmen immerhin 70 Prozent!“

Kein Wunder, dass degenerative Veränderungen im Bereich der Rotatorenmanschette sowie Arthrose in der Schulter häufige Verursacher von Schulterschmerzen im Alter sind.

Wann man diese Schmerzen noch konservativ behandeln kann, wann eine OP angeraten ist oder sogar eine Prothese, könne man nicht pauschal sagen, so der Oberarzt. Das komme auf die Diagnose an, die oft ein Mischbild ist, und auch auf die Person, die vor einem steht mit ihren Erwartungen“, erklärt das Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Tropenchirurgie seine Herangehensweise.

Eine der häufigsten Diagnosen sind Oberarmbrüche bei älteren Frauen (100 bis 300 proximale Humerus-Frakturen pro 100 000 Einwohner).

Eine fitte 80-Jährige, die ihren Haushalt und Garten noch alleine schmeißt, müsse man anders behandeln, als jemand, der von Haus aus nicht mehr erwartet, das er alle Bewegungsabläufe alleine schultern kann, meint Plumhoff.

Oftmals sehe etwas auch dramatisch auf dem Röntgenbild aus, kann aber ganz gut konservativ behandelt werden.

Wie so oft im Leben, greifen Pauschaldiagnosen hier nicht.

So unterschiedlich wie die Menschen und deren Biografien, so unterschiedlich sind auch die Behandlungsweisen.

Bei einer reversen (umgekehrten) Prothese, wird die Kugel dahin gesetzt, wo die Pfanne ist und die Pfanne dahin wo die Kugel vorher war am Oberarm. Es entsteht ein Hebelarm, der es dem Deltamuskel ohne die anderen Muskeln (Rotatorenmanschette) ermöglicht das Gelenk hochzuheben. Foto: Susanna Khoury

Bei einer reversen (umgekehrten) Prothese, wird die
Kugel dahin gesetzt, wo die Pfanne ist und die Pfanne
dahin wo die Kugel vorher war am Oberarm. Es entsteht
ein Hebelarm, der es dem Deltamuskel ohne die
anderen Muskeln (Rotatorenmanschette) ermöglicht
das Gelenk hochzuheben. Foto: Susanna Khoury

Bei komplizierten Brüchen im Schulterkopf (mehr als vier Fragmente) oder Frakturen mit gleichzeitig ausgeprägter Arthrose sei eine Prothese angeraten.

Das König-Ludwig-Haus in Würzburg setzt zwischen 60 und 70 solcher Prothesen in der Schulter im Jahr ein.

Die anderen 50 Prozent der operativen Verfahren kommen mit winkelstabilen Platten aus, so Piet Plumhoff.

Ganz oft, brauche man gar keine OP. Auch hier sei das KLH Partner.

Ein eigenes Physiotherapie-Konzept für die Schulter, das im König-Ludwig-Haus entwickelt wurde, hilft nicht nur gut bei Arthrose und Defektarthopatien (Sehnenriss der Rotatorenmanschette), sondern auch jungen Patienten bei Instabilitäten, die nicht unfallbedingt, sondern anlagebedingt sind. Apropos junge Patienten.

Verletzungen im Schulterbereich treffen nicht nur ältere Menschen. Ein großes Feld für den Orthopäden sind auch Hochrasanz-Traumata, sprich Unfälle bei hoher Geschwindigkeit.

Dazu zählen Stürze mit dem Mountainbike oder auch mit dem Snowboard.

„Bei den sportlich Aktiven unter 30 ist die Gefahr, dass sich die Schulter ein zweites Mal auskugle sehr hoch. Daher würde er bei jungen und sehr aktiven Menschen für die Wiederherstellung zur OP raten“, erklärt Piet Plumhoff.

Die „normale“ Luxation sei zu 90 Prozent jedoch durch eine „Schlüsselloch-Operation“ (Arthroskopie) behebbar.

Auch im Alter spiele das „Alter“ eine nicht unerhebliche Rolle bei der Entscheidung für oder gegen eine OP/Gelenkersatz: „Bei unter 70-Jährigen sind wir mit Prothesen zurückhaltend, weil sie nur zehn bis 15 Jahre halten und dann ausgetauscht werden müssen“, favorisiert der Oberarzt auch hier zunächst eine konservative Therapie über 12 Wochen.

Wenn dann keine Besserung eingetreten ist, könne man immer noch überlegen. Vorausschauend behandeln sei im KLH die Devise, sprich bei der ersten OP, wenn sie nicht vermeidbar ist, an die zweite zu denken.

Zum Beispiel der Einsatz von Kurzschaft-Prothesen, sei so eine vorausschauende Maßnahme, vor dem Hintergrund bei der ersten OP möglichst wenig Knochensubstanz zu schädigen, sagt Plumhoff.

Eine weitere „Alterserscheinung“, die aber meist gut konservativ behandelbar sei (wenn sie früh erkannt wird), ist das Engpass-Syndrom (Impingement). Dieses entsteht beispielsweise durch häufiges Überkopfarbeiten.

Die Rotatorenmanschette und der darüber liegende Schleimbeutel werden dabei ständig eingeengt. Das Heben des Armes ist beim Impingement schmerzhaft eingeschränkt.

Teilweise tritt auch ein Kraftverlust auf. „Solange das Engpass-Syndrom nicht mit einem großen Riss in der Sehne einhergeht, versuchen wir es immer konservativ“, berichtet der Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie.

In einer normalen orthopädischen Praxis werden nach Schätzungen des 41-Jährigen 70 Prozent der
Schulter-Patienten konservativ behandelt.

„Im KLH sei der höhere Prozentsatz an OPs der Tatsache geschuldet, dass Patienten meist am Ende einer längeren Odyssee und nach dem Ausreizen aller konservativen Therapien zu uns geschickt werden“.

Aber auch hier gibt es einen Schulterschluss: eine Schulter-OP bedeutet heutzutage meist Schlüsselloch-Chirurgie, das heißt ein minimal-invasiver, weichteil- und muskelschonender Eingriff.

Das Interview mit Oberarzt Piet Plumhoff führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury.

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