„Nein, Glühwein heute ist ein reines Genussmittel“, sagt Historiker und Weinexperte Dr. Markus Frankl. „Aber auch als Genussmittel knüpft er durchaus an das Würzwein-Vorbild an, denn Würzweine wurden schon vor Jahrhunderten nicht nur als Arznei-, sondern auch als Genussmittel verwendet“. Eigentlich habe er sein Hobby zum Beruf gemacht, sagt der gebürtige Hammelburger Frankl und verbindet die lange Geschichte des Weines, sein Geschichtsstudium, seine Herausforderung als Gästeführer bei „Weinerlebnis Franken“ und seine Aufgaben als Leiter der Vinothek des Juliusspitals.
Inspiriert inmitten edler Weine des traditionellen Würzburger Juliusspitalweingutes erinnert Frankl an die höfische Küche und Kochbuchliteratur, die vor allem an der Wende von Mittelalter zur Frühen Neuzeit eindrucksvoll Zeugnis über die Bewertung des Weines anno dazumal abgab. Im „Menagier de Paris“, dem bekanntesten französischen Kochbuch des Mittelalters, werde – neben anderen Würzweinvarianten, wie etwa Würzwein als Aperitif gereicht zu mit Gewürzen bestreuten Bratäpfeln und gebackenen Feigen mit Kresse und Rosmarin – der zumeist mit Honig, selten auch mit dem teuren Zucker gesüßte Hypocras als Empfehlung zu Waffeln in einer Menüfolge zum Dessert genannt. „Der Hypocras ist gewissermaßen der Klassiker unter den Würzweinen“, betont Frankl. Meistens, so die alten Vorgaben, enthielt er Rotwein gemischt mit Zucker (bei der Oberschicht, zumeist wurde er mit Honig gesüßt) und gemörserten oder gemahlenen Gewürzen, oftmals Ingwer, Zimt, Pfeffer und gelegentlich Muskatnuss und Nelken. Gewürzhändler boten Hypocras-Mischungen an, die in den Wein gerührt werden konnten oder in Säckchen in den Wein gehängt wurden. Genossen habe man den Hypocras meist in relativ kleinen Mengen, so Frankl. Seit dem 16. Jahrhundert, so recherchierte der Wein-Historiker, schien der Geschmack für Würzweine allmählich zurückzugehen. Als Heilmittel sei (Würz-)Wein Mitte des 19. Jahrhunderts endgültig in den Hintergrund gedrängt worden.
Heute trinke man Glühweine ausschließlich als Genussmittel und warm, sagt Frankl. Ob Arznei- und Würzweine ursprünglich kalt oder warm getrunken wurden, wisse man nicht für alle Rezepte. „Zumeist wurden sie aber kalt genossen, nur selten steht explizit dabei, dass der Wein nicht erkalten dürfe oder erwärmt getrunken werden sollte – meist bei Arzneiweinen“, so Frankl. Auch wenn ein gewisser Vorbildcharakter der Würzweine für den heutigen Glühwein nicht von der Hand zu weisen sei, entwickelte sich das Getränk, das wir heute als Glühwein kennen, erst im 20. Jahrhundert. 1956 wurde der erste verzehrfertige Glühwein in Glasflaschen in den Handel gebracht. Beim heutigen Glühwein handele es sich um ein aromatisiertes weinhaltiges Getränk mit mindestens sieben Prozent Alkohol und den üblichen Gewürzen Zimt, Gewürznelken, Zitronenschale und Sternanis.