Visiten in natürlichen Klanglandschaften

Unter dem Motto „Hört sich gut an“ findet am 27. April der internationale „Tag gegen Lärm“

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Am Main die Musikboxen dröhnend aufzudrehen, ist nicht nur unhöflich. Es stört. Nervt. Und kann andere im schlimmsten Fall krank machen. „Ob Lärm krank macht, hängt davon ab, wie stark die Exposition ist und wie lange sie dauert“, erklärt hierzu Dr. Anja Kurz, technische Leiterin des Hörzentrums an der Würzburger Uni-Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten anlässlich des „Tags gegen Lärm“ am 27. April.

Laut Musik zu hören, scheint einem Teenie wenig auszumachen. Tatsächlich kommt es nicht allzu häufig vor, dass schon Jugendliche eine Hörschädigung erleiden. „Das liegt daran, dass die Haarzellen des Innenohrs bei jungen Menschen noch besser durchblutet sind“, sagt Dr. Kurz. Jugendliche, die es lieben, in der Disko direkt vor den Boxen zu stehen, seien allerdings gefährdet, sich eine Lärmschädigung zuzuziehen. Um Menschen am Arbeitsplatz vor Lärm zu schützen, gibt es laut Kurz Verordnungen zum Arbeitsschutz. Erreicht der Tages-Lärmexpositionspegel 80 dB(A), sind nach den aktuellen Regelungen Maßnahmen gegen den Lärm zu ergreifen. Da immer mehr geräuschverursachende Quellen aufploppen, wird es laufend schwieriger, sich im Alltag vor Lärm zu schützen. Parks, Grünanlagen und Wälder sind vor diesem Hintergrund immer wichtigere Oasen der Ruhe. Niels Kölbl, Vorsitzender der Würzburger Kreisgruppe des Landesbunds für Vogelschutz, erholt sich persönlich in der Natur am besten; bewusst auch von Lärm, der von Verkehrsbaustellen und Maschinen ausgeht. „Das Gezwitscher von Vögeln ist ungemein entspannend“, sagt er, wenn er sich in natürlichen Klanglandschaften aufhält wie dem Würzburger Ringpark oder dem Gramschatzer Wald.

Wer ständig im Büro hockt, tut gut daran, hin und wieder frische Luft zu schöpfen. Gesundheitseffekte gehen dabei nicht nur von der Bewegung aus. Für Kölbl sind vor allem Naturlaute Labsal für Körper und Seele. Das empfindet nicht nur er so. Auch die ­Ergebnisse einer Auswertung von 36 Studien zu diesem Thema, die in den „Proceedings“ der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften (PNAS) veröffentlicht wurde, bestätigt den gesundheitlichen Nutzen von Naturgeräuschen. Menschen, die sich vermehrt in natürlichen Geräuschkulissen aufhalten, hätten weniger Schmerzen und empfinden weniger Stress. Zudem würden sich in natürlichen Klanglandschaften Stimmung und kognitive Leistung verbessern, so die Publikation.¹

Man kommt in der Natur also automatisch gut drauf, und hat infolge dann auch wieder gute Ideen. Im Umkehrschluss kann Lärm krankmachen. Lärm kann zum Beispiel der Auslöser sein, dass ein Mensch Tinnitus bekommt. „Man kann das zumindest nicht ausschließen, wobei erfahrungsgemäß meist Stress der Auslöser ist“, sagt Joachim Kunze von der Selbsthilfegruppe Tinnitus Würzburg. Durch ein Knalltrauma oder durch starken akuten Lärm ausgelöster Tinnitus ist möglich. Joachim Kunze leidet seit 20 Jahren an Tinnitus. „Bei mir war aber nicht Lärm, sondern Stress in der Firma und der Familie Auslöser“, berichtet der 65-Jährige. Er selbst sei relativ lärmresistent: „Doch wir haben in der Gruppe Betroffene mit Tinnitus und Hyperakusis, die äußerst lärmempfindlich sind.“ Oft kann man nicht von einer Wirkung auf die Ursache schließen. „Doch Schallwellen können durchaus zu Schädigungen wie Tinnitus führen“, bestätigt Uta Schmitgen von der Gehörlosenberatung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in Unterfranken.

Früher kam es nach den Angaben der Diplom-Sozialpädagogin bei Straßenbauarbeitern sowie bei Arbeitern in lauten Fabrikhallen zu Hörbehinderungen. Durch Lärmschutzregelungen der Berufsgenossenschaft wurde dieses Problem deutlich reduziert. Unter dem ganz alltäglichen „Lärmsmog“ unserer Umwelt leiden nach ihren Worten nicht nur normal hörende Menschen, sondern auch Schwerhörige.

Quelle:
¹www.pnas.org/content/118/14/e2013097118

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