Seit Mai dieses Jahres sind Eltern in Italien verpflichtet, ihre Kinder impfen zu lassen. Wer sich weigert, muss mit Bußgeldern rechnen. In Deutschland sind zwar bislang alle Versuche gescheitert, eine Impfpflicht einzuführen.
Aber: Seit Anfang Juni sind laut Bundesregierungsbeschluss Kitas verpflichtet, den Gesundheitsämtern jene Eltern zu melden, die keine Impfberatung für ihre Kinder nachweisen können. 2015 war mit dem sogenannten Präventionsgesetz eine verpflichtende Impfberatung eingeführt worden, ehe ein Kind in eine Einrichtung aufgenommen wird. Was dabei häufig verwechselt wird: Nicht die Impfungen selbst sind Pflicht, sondern das Beratungsgespräch. Verweigern sich Eltern der Beratung, winken Strafen in Höhe von bis zu 2.500 Euro.
Impfen polarisiert
Was die aktuelle Debatte um die Impfberatung zeigt: Impfen polarisiert hierzulande wie kaum ein anderes Gesundheitsthema. Und in der Fragerunde im Anschluss an einen Vortrag im Krankenhaus Juliusspital in Würzburg zum Thema „Impfen, nein danke?“ von Professor Dr. Tino F. Schwarz, Chefarzt des Zentrallabors im Juliusspital, wird rasch deutlich: Einige Eltern sind stark verunsichert, weil zwischen den verhärteten Fronten der Impfskeptiker und Impfbefürworter, zwischen obskuren Mythen und belegbaren Fakten ein neutrales Informieren schwierig ist.
Gute Gründe fürs Impfen gibt es viele: den Eigenschutz etwa wie auch den Schutz anderer, vor allem auch un- und neugeborener Kinder; die Chance, Krankheiten komplett auszurotten, wie es mit der Pockenimpfung gelungen ist; ökonomische Argumente, da ein Impfstoff weit günstiger ist als die wochenlange Behandlung eines schwerkranken Patienten. Gleichzeitig machen sich Eltern Gedanken darüber, ob sie, wie es die Impfkommission empfiehlt, ihr Baby bis zum 15. Lebensmonat tatsächlich rund 15 Mal impfen lassen wollen. Die Angst vor Nebenwirkungen oder Impfschäden treibt sie um.
Ärzte sind zwar in der Theorie vor Durchführung jeder Impfung oder Impfserie zur Aufklärung über Nutzen und Risiko verpflichtet, doch kommt dies im Praxisalltag wohl oft recht kurz – oder aber es mangelt beim Aufklären an Neutralität.
Viele Heilpraktiker, Hebammen oder Krankenpfleger sprächen sich gleichzeitig vehement gegen Impfungen aus, kritisiert Schwarz. Hinzu kommt heute ein hochkomplexes, schwer zu durchschauendes Impfwesen: Einmal jährlich spricht die Ständige Impfkommission (STIKO) Empfehlungen zu Impfungen aus, veröffentlicht werden sie unter anderem auf den Internetseiten des Robert-Koch-Instituts (www.rki.de).
Aber: Länderempfehlungen können von den STIKO-Empfehlungen abweichen – und was die STIKO empfiehlt, ist nicht zwangsläufig Kassenleistung. Und vielleicht die größte Schwierigkeit heute, für jene, die sich mit dem Thema Impfen auseinandersetzen: Alte Mythen vermischen sich in Diskussionen mit wissenschaftlich Widerlegtem und neuen Erkenntnissen.
Ein Beispiel: Dass viele Impfkritiker bis heute einen Zusammenhang zwischen Autismus und der Masernimpfung herstellen, geht auf eine im Jahr 1998 veröffentlichte Studie im Fachblatt „The Lancet“ zurück, darin kam ein Forscherteam zu dem Ergebnis, die Dreifachimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln führe möglicherweise zu Autismus. Zwölf Jahre später zog das medizinische Fachmagazin die Studie nach mehr als zweijähriger Untersuchung offiziell zurück wegen gefälschter Daten. Zitiert wird trotzdem gern bis heute „The Lancet“.
Aufklärung statt Entmündigung
Schließlich taucht immer wieder neu die Forderung nach Einführung einer Impfpflicht in Deutschland auf und sorgt auch in der Ärzteschaft für erregte Debatten. Vehement dagegen sind etwa die Mitglieder des Vereins „Ärzte für individuelle Impfentscheidung“.
Auch Mediziner aus Mainfranken sind hier organisiert, zum Interview war von ihnen allerdings keiner bereit. Anders der Vereinsvorsitzende Michael Friedl, Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin aus Heidelberg. Kritik übt er etwa daran, dass die Mehrzahl der wissenschaftlichen Studien über Impfstoffsicherheit von Impfstoffherstellern (mit)veröffentlicht würden, dass Untersuchungen über langfristige Impfauswirkungen und die Nachhaltigkeit von Impfprogrammen fehlten.
„Die ‚Empfehlungen der Ständigen Impfkommission‘ verstehen wir tatsächlich als Empfehlungen. Ihre zunehmende Interpretation als ‚medizinischer Standard‘, ‚Impfvorschrift‘ oder als Grundlage einer möglichen Impfpflicht lehnen wir ab“, heißt es auf der Internetseite des Vereins.
Eine seriöse Beratung von Patienten brauche viel Zeit, ergänzt der Heidelberger Kinderarzt Friedl. Statt sie zu entmündigen, fordert er, Menschen in ihrer Fähigkeit zur individuellen Entscheidung zu stärken.