Unkontrollierter Urinverlust

Die Gynäkologen Dr. Hanns-Jörg Grimminger, Dr. Birgitta Bauer, Sabine Schuler und Robert Kielan sprechen über das Tabuthema Harninkontinenz

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Harninkontinenz zählt zu den häufigsten chronischen Erkrankungen der Frau. „Während in der Altersklasse der 20- bis 30-Jährigen nur zehn Prozent der Frauen inkontinent sind, sind es in der Gruppe der 40- bis 50-Jährigen schon knapp 25 Prozent. Die größte Gruppe Inkontinenter stellen Frauen ab 80 Jahre. Hier sind circa 40 Prozent betroffen“, sagt Dr. Hanns-Jörg Grimminger. Foto: privat

Laut der Deutschen Kontinenz Gesellschaft leiden rund neun Millionen Menschen in Deutschland an Inkontinenz, wobei nur zwei Betroffene von fünf mit ihrer Funktionsstörung zum Arzt gehen¹. Will heißen, mehr als die Hälfte der Betroffenen holt sich meist aus Scham keine Hilfe.

Das bestätigt auch der Chefarzt der gynäkologischen Abteilung im Klinikum Würzburg Mitte (KWM), Standort Missionsärztliche Klinik (Missio), Dr. Hanns-Jörg Grimminger, der mit seinem Team rund 300 Beckenboden-OPs im Jahr durchführt. Harninkontinenz, die in seinen Aufgabenbereich fällt, sei immer noch ein Tabuthema, die Sprachlosigkeit über das „Müssen müssen“ ein großes Problem, so der Leiter des Beckenboden-Beratungszentrums im Missio.

Dabei könne oftmals durch Beckenboden-Gymnastik, das Auftragen von östrogenhaltigen Salben oder Zäpfchen im Vaginalbereich, Ringoder Würfelpessare, Kontinenz-Tampons oder auch medikamentös konservativ gut geholfen werden, betont Dr. Birgitta Bauer, Oberärztin in der Gynäkologie am Missio. Obwohl Inkontinenz auch in jungen Jahren auftreten kann, würden vorwiegend Frauen über 70 in der Beckenboden-Sprechstunde im Missio vorstellig, so Dr. Bauer.

„Zunehmendes Alter ist ein Risikofaktor für unkontrollierten Urinverlust, beispielsweise aber auch schwere Geburten der Frau, OPs im Beckenbereich, bestimmte Sportarten wie Tanzen oder Trampolinspringen, Rauchen, Übergewicht, Diabetes mellitus, der Hormonabfall in der Menopause oder generell eine Bindegewebsschwäche“, so Dr. Grimminger.

Jede vierte Inkontinenz gehe mit einer Senkung des Beckenbodens einher, so die Deutsche Inkontinenz Gesellschaft². Daher müssten über spezielle Diagnostik auslösende Faktoren für den unwillkürlichen Urinverlust evaluiert werden, referiert Gynäkologin Sabine Schuler im Rahmen der „World Continence Week“ (WCW) bei einem Vortrag in der Missionsärztlichen Klinik im Juni dieses Jahres vor fast 80 interessierten Frauen und ein paar wenigen Männern. Angefangen von Urinuntersuchungen, Blasen- und Harnröhre-Druckmessungen, gynäkologischen Untersuchungen, Röntgenuntersuchungen, Ultraschall von Blase und Harnröhre bis hin zu einer Blasenspiegelung könne im Missio die gesamte Palette an Diagnostik für die Anamnese aufgefahren werden.

„Diese kann nötig sein, um die richtige Therapie einzuschlagen und um festzustellen, ob eine Belastungsinkontinenz (49 Prozent der Fälle), eine Drang-Inkontinenz (überaktive Blase) oder eine Mischform aus beiden vorliegt oder etwas ganz anderes“, konstatiert der Chefarzt und zertifizierte Beckenboden-Berater Dr. Grimminger. Wenn eine Harninkontinenz etwa mit einer Stuhlinkontinenz vergesellschaftet sei, könne, falls erforderlich, sogar gemeinsam mit den Kollegen aus der Vizeral-Chirurgie im Standort Juliusspital des KWM operiert werden, so Grimminger.

Frauenarzt Robert Kielan, ebenfalls Vortragender im Rahmen der WCW im Missio, spricht von drei Graden der Belastungsinkontinenz: Urinverlust beim Lachen, Nießen oder Husten (Grad I), Urinverlust beim Laufen oder Treppensteigen (Grad II) oder Urinverlust im Liegen (Grad III). Während bei Grad I und II meist noch die Chance auf Besserung durch konservative Therapien bestünde, sei Grad III schon eine OP-Indikation.

„Aber letztendlich zeigt immer der individuelle Leidensdruck an, ob eine Operation durchgeführt
werden soll oder nicht“, resümiert Dr. Grimminger aus seinen Erfahrungen in Mainz und Würzburg. Nach dem Motto „alles kann, nichts muss“ ist es einzig und allein die betroffene Frau, die darüber entscheidet, was sie muss und was nicht!

Quellen: ¹Deutsche1 Deutsche Inkontinenz Gesellschaft, www.kontinenz-gesellschaft.de, ²Robert Koch Institut: edoc.rki.de/handle/176904/3191, 3 EPINCONT-Studie: Hannestad YS, Rortveit G, Sandvik H et al. (2000) A community-based epidemiological survey of female urinary incontinence: The Norwegian EPINCONT Study. Journal of Clinical Epidemiology 53: 1150– 1157

Beckenboden-Sprechstunde im Missio: Montag 9 bis 11.30 Uhr und Dienstag 10 bis 11.30 Uhr und 14 bis 15 Uhr, Überweisung vom Hausarzt oder Gynäkologen erforderlich, Anmeldung unter Telefon 0931.791-2610, www.kwm-missioklinik.de

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