Tierische Herzensöffner

Wenn im Seniorenzentrum St. Elisabeth in Münnerstadt die Lamas zu Besuch kommen ...

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„Lamas werden auch die summenden Therapeuten oder Delfine der Weide genannt“, weiß Birgit Appel-
Wimschneider. „Erste Studien zu Therapieerfolgen mit Lamas sind durchweg positiv.“ Foto: ©Schmelz Fotodesign

„Wer mit Tieren redet, kann Menschen nicht mehr hören“, meinte der Dichter Justus Vogt. Wenn sich die Umgebung in den Hintergrund schiebt, der Körper frei und die Seele beschwingt ist, dann sind im konkreten Fall besondere Wesen im Spiel, nämlich der vierjährige Lama-Hengst Ritchie und sein neunjähriger Kumpan Louis. Gemeinsam mit ihrer Besitzerin, der Heilpraktikerin für Psychotherapie Birgit Appel-Wimschneider, waren sie Anfang des Jahres zu Besuch im Seniorenzentrum St. Elisabeth in Münnerstadt.

Von der Orenda-Ranch in Burglauer, die zum Institut und Akademie für tiergestützte Therapie und psychosomatische Medizin in Bad Kissingen gehört, haben sie sich auf den Weg gemacht, um eine Stunde lang auf Tuchfühlung mit den dort heimischen Senioren zu gehen. 60 Minuten, in denen die Bewohner den Alltag vergessen konnten. 60 Minuten, in denen körperliche Beschwerden in den Hintergrund rückten. 60 Minuten, die alte Erinnerungen hervorkramten und neue schafften.

„Lamas sind sehr sanft in ihren Bewegungen. Sie strahlen Zurückhaltung aus, sind aber gleichzeitig neugierig und aufgeschlossen“, erklärt Birgit Appel-Wimschneider, die über drei Jahrzehnte Erfahrung mit tiergestützter Therapie verfügt. „Durch ihre Wolle haben sie einen sehr hohen Motivations- und Aufforderungscharakter. Dieses Fell möchte man einfach berühren und die großen Augen der Tiere passen in das so ansprechende Kindchen-Schema.“

Auch unter den Bewohnern in der Münnerstädter Einrichtung lässt sich das sehr gut beobachten. Diesem Blick konnten sich die Senioren nur schwer entziehen. Ohne Scheu nahmen sie Kontakt mit Ritchie und Louis auf. Die beiden tierischen Herzensöffner wurden von ihnen direkt angesprochen und gestreichelt. Plötzlich fallen Bewegungen, die sonst fast unmöglich erschienen, nicht mehr so schwer. Steife Hände öffnen sich wieder, Arme reichen höher als gewöhnlich, selbst das Aufstehen gelingt besser als gedacht. Erinnerungen mit eigenen Tieren aus vergangenen Tagen kommen wieder ins Gedächtnis.

„Es ist toll, welche Ruhe die beiden ausstrahlen. Das überträgt sich auf einen selbst – Balsam für die Seele“, sagt Rosemarie Thomann, die bisher ohne größere Einschränkungen durchs Leben ging. Die 85-Jährige kennt das Duo schon von früheren Besuchen im Seniorenzentrum. „Sie schauen mich an, als würden sie mich verstehen.“ Sitznachbarin Emilie Fuß pflichtet ihr bei. Die 94-Jährige kennt die sanftmütigen Gesellen noch länger. Einst wohnte sie in deren Nachbarschaft. Eine Zeit, auf die sie ausgesprochen detailreich zurückblickt.

Foto: ©Schmelz Fotodesign

Ingrid Nöth, die Leiterin der Betreuung im Haus, freut sich über solche Rückmeldungen. Seit rund drei Jahren kämen die Lamas nach Münnerstadt. Diese Tiere würden die Bewegungs- und Kontaktfreude anregen und sich als „Schlüsselerlebnis“ im Gedächtnis verankern. „Die Senioren blühen bei den imposanten Erscheinungen richtig auf.“ Bewohner, die eine Abneigung gegen Tiere hätten oder die Nähe nicht wollten, ließe sie bei solchen Angeboten außen vor. Und auch die Therapeutin wählt die tierischen Besucher für solche Begegnungen mit Bedacht aus. Welches Lama für ein bestimmtes Setting eingesetzt wird, hängt von den jeweiligen Kontaktpersonen, deren Vita und Krankengeschichte ab. Die respektvolle Distanz, die diese Tiere wahren, begünstige zum Beispiel das Arbeiten etwa mit Menschen, die eine Traumatisierung, phobische Störungen, Kontaktstörungen oder autistische Wesenszüge hätten. Die Lamatherapeutin stelle fest, dass Menschen, die sich zunächst ängstlich und ablehnend zeigten, Vertrauen zu diesen gutmütigen Tieren entwickelten.

„Lamas können sich sehr gut auf ihr Gegenüber einstellen.“ Außerdem werden sie zuvor auch noch trainiert. „Sie lernen ruhig zu stehen und sich berühren zu lassen – vor allem an den hinteren Körperstellen.“ Vieles würden sich die Jungtiere auch aneignen, indem sie das Verhalten ihrer älteren Artgenossen bei einer Therapiesitzung beobachten und nachahmen. „Sie wachsen so in die Rolle des Therapietiers hinein.“ Durch das Miteinander von Mensch und Tier, durch die Erfahrung von Zugehörigkeit und Angenommensein entstehe ein Prozess, der heilend auf Körper, Geist und Seele wirke, so Appel-Wimschneider

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