Suchterkrankungen bei Ärzt:innen

Tobias Günther, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, spricht über ein vielfach totgeschwiegenes Thema

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Abhängigkeitserkrankungen finden sich überall in der Gesellschaft, auch unter Ärzt:innen. Nach Schätzungen der Bundesärztekammer ist davon auszugehen, dass sieben bis acht Prozent der Berufsgruppe mindestens einmal im Leben an einer Suchterkrankung leiden. Tobias Günther, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, seit März 2021 Chefarzt der Rehabilitationsklinik für Suchterkrankungen in Weibersbrunn, geht davon aus, dass Ärzt:innen gegenüber anderen Berufsgruppen sogar stärker suchtgefährdet sind, bedingt durch die oft überdurchschnittliche Arbeitsbelastung, den Druck durch die hohe Verantwortung und die Auseinandersetzung mit dem erlebten menschlichen Leid. Alkohol sei die am häufigsten zur Abhängigkeit führende Substanz. Ebenfalls berge die größere Nähe zu Medikamenten ein beachtliches Risiko.

Eine genaue Datenlage zur Häufigkeit von Suchterkrankungen bei Ärzt:innen lag bislang noch nicht vor. Eine groß angelegte Online-Befragung von Wissenschaftler:innen des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München untersuchte deshalb das Gesundheitsverhalten und den Suchtmittelkonsum von Ärzt:innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Den Ergebnissen zufolge, konsumiert fast ein Viertel der Teilnehmer:innen Alkohol in gefährlichem Maße, fünf Prozent leiden ihren Angaben nach unter einer mittleren bis hohen Nikotinabhängigkeit, acht Prozent unter Adipositas. Für Assistenzärzt:innen besteht ein dreifach erhöhtes Risiko für gefährlichen Alkoholkonsum gegenüber Ärzt:innen in leitenden Positionen. Angehörige chirurgischer Fachrichtungen neigen doppelt so oft zu riskantem Gesundheitsverhalten wie Ärzt:innen in nicht-chirurgischen Disziplinen. Weitere Risikofaktoren sind Kinderlosigkeit sowie lange Arbeitszeiten, die häufig bei über 50 Stunden in der Woche liegen.

Günther zufolge liegen in der beruflichen Nähe zu Gesundheitsfragen und den Arbeitsbedingungen des Ärzt:innenberufs sowohl Risiken als auch Chancen: „Infolge der verstärkten zeitlichen Belastung durch den Beruf ist es schwierig, Raum für eine eigene Behandlung oder Psychotherapie zu finden. Der Rollenwechsel vom Behandelnden zum:zur Patient:in berge die Gefahr einer Verlängerung der Krankheitsphase, selbst wenn sich der Erkrankte seines problematischen Verhaltens bewusst sei. Trotz dieser zunächst negativ klingenden Aussagen bringen Ärzt:innen durch ihr medizinisch-therapeutisches Vorwissen und ihre positiven beruflichen Zukunftsperspektiven meist ein hohes Maß an Durchhaltevermögen und Selbstkontrolle sowie intakt gebliebene soziale Unterstützungssysteme mit. Dies sind ausreichend Ressourcen für eine günstige Prognose in der ­Behandlung.“

Die Würzburger Fachambulanz für Suchtfragen in der Neutorstraße 4 ist zu erreichen unter Telefon 0931.3535155.

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