Schlagen Frauenherzen anders?

Facharzt für Innere Medizin Prof. Karl Mischke über kardiologische Erkrankungen bei Frauen

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Nicht erst seit dem Buch von Chris Evatt „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ ist evident, dass Frauen anders ticken als Männer. Dennoch geht auch die Medizin des 21. Jahrhunderts nicht ausreichend auf die Unterschiede zwischen Mann und Frau ein – sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie. Gendermedizin ist noch eine sehr junge Disziplin. Erst seit den 1990er-Jahren gibt es diese personalisierte Herangehensweise und langsam etabliert sie sich in den einzelnen Fachdisziplinen. Den Startschuss für die besondere Beachtung von biologischen Unterschieden von Männern und Frauen in der Medizin gab das Buch der amerikanischen Kardiologin Dr. Marianne Legato „The Female Heart: The Truth about Women and Heart Disease.“1 Dr. Legato war es auch, die entdeckt hat, dass Frauen bei einem Herzinfarkt eine andere Symptomatik zeigen als Männer. Über Gendermedizin und die Frage, ob Frauenherzen anders schlagen als die von Männern, haben wir uns mit Professor Karl Mischke vom Frauenherzzentrum im Schweinfurter Leopoldina- Krankenhaus unterhalten. „Gendermedizin gibt es schon länger“, sagt auch der Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und internistische Intensiv­medizin. Allerdings sei der Fokus noch nicht so weit. Einen „Erkenntnisgewinn“ durch die zunehmende Differenzierung in Geschlechtsunterschiede bei den einzelnen Erkrankungen über die vergangenen Jahrzehnte sieht er aber. Noch setzt die Forschung meist auf männliche Probanden, sogar die Mäuse sind alle männlich (70 bis 80 Prozent der Fälle). Es stellt sich die Frage, wie man sicher sein kann, dass Medikamente, die überwiegend nur an männlichen Wesen getestet wurden, bei Frauen genauso wirken. Der Professor sieht darin kein größeres Problem. „Die Proband:innengruppen sind groß. In den Subgruppen kann man durchaus nach den Unterschieden schauen. Mehr Beachtung finden sollte allerdings die Frage nach den Dosierungen.“ Ursächlich für diese Herangehensweise seien die untersuchten Erkrankungen, die Männer häufiger treffen würden – gerade in seinem Fachgebiet, der Kardiologie. „Das große Krankheitsbild der koronaren Herzerkrankung betrifft überwiegend Männer.“ Auf der anderen Seite führe dieser Fokus dazu, dass Frauen „hinten runterfallen“. Im Frauenherzzentrum am Leopoldina in Schweinfurt ist das anders. Hier kümmert man sich um die spezifischen Belange von Frauen mit Herzproblemen. Denn, was viele zum Beispiel nicht wissen: Herzinfarkte treffen Männer zwar häufiger, doch bei Frauen sind sie mit einer höheren Sterblichkeit verbunden. „Die ist bei Frauen fast um den Faktor zwei erhöht“, so der Mediziner. Auch im weiteren Verlauf bleibe die Überlebensrate von Frauen niedriger, als von Männern. „In den ersten fünf Jahren nach dem Ereignis verstirbt etwa jeder vierte Mann, aber jede dritte Frau.“ Ein zweiter wichtiger Punkt ist Professor Mischke zufolge eine „gewisse Unterversorgung“ von Frauen. Bei einem Herzinfarkt würden sie weniger häufig im Herzkatheterlabor versorgt oder Bypass-Operationen unterzogen. In Schweinfurt herrscht Sensibilität. Hier wird das „Frausein“ in Diagnose und Therapie explizit berücksichtigt. „Frauen haben eine andere Anatomie, Physiologie und Symptomatik“, so der Chefarzt. Bei der koronaren Herzerkrankung seien zudem die weiblichen Geschlechtshormone zu beachten, so Mischke. „Sie schützen vor einer Verengung der Herzkranzgefäße und somit vor einem Herzinfarkt. Dieser Effekt lässt nach der Menopause nach.“ Dazu komme ein anderes „Herangehen“ der Patientinnen selbst.
„Frauen äußern ihre Beschwerden häufig nicht so direkt.“ Zudem seien diese Beschwerden oft atypisch. „Genau darauf muss man eingehen.“ Das brauche viel Erfahrung, so der Kardiologe. Oftmals sei sogar eine Spezial-Diagnostik erforderlich. Schlagen Frauenherzen also anders? Ja! „Die Herzen von Frauen sind kleiner und haben ein etwa zehn Prozent geringeres Schlagvolumen. Die Herzfrequenz liegt hingegen etwa drei bis fünf Schläge höher“, erklärt Karl Mischke. Bei Frauen komme es häufiger zu einer Herzschwäche mit erhaltener Pumpfunktion. Und auch diese sei schwieriger zu diagnostizieren. Laut Mischke werden in Schweinfurt vor allem Frauen mit koronaren Herzerkrankungen vorstellig, entweder mit einem akuten Herzinfarkt oder einem chronischen Koronarsyndrom (CCS). Letzteres beschreiben die Patientinnen mit Enge in der Brust und Luftnot bei Belastung, „aber durchaus auch mit Schmerzen im Rücken- und Bauchbereich“. Die klassische Symptomatik mit Enge in der Brust und Ausstrahlung in den linken Arm komme bei Frauen also durchaus vor, müsse aber nicht auftreten, so Mischke. Sei die Situation akut, sei die sofortige Herzkatheter-Untersuchung das Diagnosemittel der Wahl. Sei sie dies nicht, komme eine nicht-invasive Diagnostik mit Ekg, Blutbild oder Belastungsultraschall, zur Anwendung. Eine Sache treffe Frauen dann aber doch häufiger als Männer (und zwar zu 90 Prozent), so Professor Mischke: Das Broken-Heart-Syndrom, zu Deutsch „Gebrochenes-Herz-Syndrom“. „Bei jeder 20. Frau mit Verdacht auf Herzinfarkt liegt tatsächlich diese plötzlich auftretende Herzmuskelerkrankung vor.“

Quelle: 1„Das weibliche Herz: Die Wahrheit über Frauen und Herzerkrankungen“ 1991

www.leopoldina-krankenhaus.com

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