Positiv, das neue Negativ

Der Würzburger Schulleiter Martin Weinert über den Wandel des Wortschatzes durch die Covid-19-Pandemie

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Laut Leibnitz-Institut für Deutsche sind seit Corona-Beginn mehr als 1.000 neue Worte entstanden. Sprache verändere sich vor allem in Krisenzeiten, sagt Martin Weinert. Der Germanist, seit 2015 Schulleiter am Würzburger Matthias-Grünewald-Gymnasium, hat mit „Krisensprache – Sprachkrise – Krisenkommunikation“ ein 430-seitiges Buch über Sprache in Zeiten der Covid-19-Pandemie geschrieben. Als Germanist liege einem die deutsche Sprache immer am Herzen, begründet er sein Engagement. Sprache verändere sich zwar immer, aber coronabedingt geschehe dies schneller und gravierender, sagt Weinert. Selbst für Kinder seien Begriffe wie Inzidenzwert oder AHA-Regeln inzwischen normal. Dabei treiben laut dem Würzburger diverse Akteure und Personengruppen den Sprachwandel voran: Politiker:innen, Wissenschaftler:innen – und teilweise auch manipulative Gruppen, die die Pandemie zu ihren Gunsten nutzen wollen. Die Verbreitung wiederum finde über Medien statt, das heißt in vielen Fällen über Journalist:innen, und zwar im digitalen Zeitalter … rasend schnell.

Manche neuen Wörter sind plötzlich Tagesgespräch, verschwinden aber ebenso rasch wieder, „Geistermeister“ zum Beispiel. „Das hat für eine Spielsaison zugetroffen, als der FC Bayern München ohne Zuschauer:innen Meister wurde. Aber ich bin überzeugt, dass das Wort in Zukunft keine Rolle mehr spielen wird“, prognostiziert Weinert. Anderer Wortschatz wiederum wie die erste, zweite und dritte Welle sei auch früher schon da gewesen, aber die wenigsten hätten sich damit je beschäftigt. „Ganz gravierend finde ich, dass Positiv das neue Negativ ist. Oder auch Masken – die hat man früher beim Karneval getragen, jetzt differenzieren wir und sprechen von Alltagsmasken, FFP2-Masken, medizinischen Masken und Co. Das ist fast wie bei den Inuit, die hundert Wörter für Schnee haben. Sobald etwas für unser tägliches Leben wichtig ist, fangen wir an zu differenzieren“, so der Germanist. Der rasante Sprachwandel sei schlicht der Notwendigkeit geschuldet, in einer Krise möglichst rasch und spezifisch auf die jeweilige Situation reagieren zu können. Komplett neuer Wortschatz übrigens entstehe laut Weinert kaum.

Den Begriff „Triage“ etwa gab es früher schon, im vorletzten Duden aber habe noch gestanden, dass es sich dabei um die Trennung von Kaffeebohnen handelt. Inzwischen konzentriert sich der Begriff „Triage“ auf den rein medizinischen Bereich. „Was vielleicht neu ist, sind Wörter in direktem Zusammenhang mit Corona, coronesk zum Beispiel“, sagt der Sprachwissenschaftler, schränkt jedoch ein, dass auch Corona schon früher in ganz vielen Zusammenhängen aufgetaucht sei: „Als Eigenname, es gibt eine ägyptische Schokoladenmarke und ein mexikanisches Bier. Es gibt die Heilige Corona – und im vorletzten französischen Asterix heißt der Schurke Coronavirus, was auch immer sich der Texter dabei gedacht hat.“

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