Mehr als nur Lampenfieber 


Der Arzt Dr. Daniel Bellinger forscht zu neuen Methoden gegen Auftrittsangst bei Musiker:innen

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„I need pot to do my job“ (dt. „Ohne Gras kann ich meine Arbeit nicht machen.“), hat der bekannte Geiger Nigel Kennedy einmal gesagt. Ähnlich empfand der Cellist Pablo Casals. Manch bevorstehendes Konzert bedrückte ihn wie ein Alptraum. Beide litten an quälender Auftrittsangst. Dass sie damit nicht allein seien, betont Dr. Daniel Bellinger im Gespräch mit der Lebenslinie. Der Neurologe und Assistenzarzt an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Würzburg hat sich dem Thema „Auftrittsangst“ im Rahmen einer Studie angenommen. Das Ziel der im Zentrum für Psychische Gesundheit (ZEP) durchgeführten Untersuchungen: (semi-)professionellen Musiker:innen mit Auftrittsangst wirksam helfen. Die Notwendigkeit liegt für den Arzt auf der Hand. „Lampenfieber ist unangenehm, geht aber mit einer positiven Aktivierung von Wachheit und Konzen­tration einher. Auftrittsangst ist etwas anderes. Sie wird von teils schwerwiegenden starken Symptomen begleitet. Sie ist leistungsmindernd und kann bis zur Beendigung einer professionellen Karriere führen.“ Hilfe würden die Betroffenen – etwa 15 bis 25 Prozent aller Profis – aber nur bedingt erfahren. Es gebe kaum Studien, die therapeutische Maßnahmen untersuchten. Und ein weiterer Aspekt spiele eine Rolle: „Es gehört zum Kern von Profi-Musiker:innen, besonders leidensfähig zu sein“, so Dr. Bellinger. „Sie üben circa vier bis fünf Stunden pro Tag, haben einen sehr hohen Identifikationsgrad mit ihrem Instrument. Bricht das weg, können sie in eine Krise geraten.“ Um ihnen künftig besser helfen zu können, vergleicht er in seiner Studie, die 18- bis 60-jährige Musiker:innen umfasst, zwei verhaltenstherapeutische Methoden. Es ist aktuell die weltweit einzige randomisierte Studie zu diesem Thema. Eine Gruppe durchläuft ein Angstkonfrontationstraining in virtueller Realität (VR). Die andere absolviert ein etabliertes Entspannungstraining. „Der Erfolg der Therapiesitzungen wird anhand einer Auftrittssituation in virtueller Realität ermittelt und mithilfe von Fragebögen erfasst“, erklärt Bellinger, der selbst Klavier und Geige spielt. Darüber hinaus würden im Zuge des Tests Herzrate und Blutdruck gemessen sowie Speichel und Blut gewonnen. Denn auch die kardiale Belastung spiele bei Auftrittsangst eine Rolle, so der Arzt und Musiker. Der Studienzeitraum ist bis März 2024 angesetzt. Zum Redaktionsschluss lagen noch keine endgültigen Ergebnisse vor. Nur so viel: „Die teilnehmenden Musiker:innen sind sehr dankbar und hochmotiviert“, so Dr. Bellinger. „Der Einsatz von VR wird sehr gut angenommen. Auftrittsangst kann bis dato bei vielen Proband:innen sehr gut induziert werden.“ Die mit der Studie verbundenen Hoffnungen sind entsprechend groß. „Musiker:innen stehen zwar im Rampenlicht, haben aber oft keine Stimme“, betont der Studienleiter. Mit seiner Forschung möchte er ihnen eine solche geben.

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