Menschen mit Knautschzonen

Ein Gespräch über Resilienz mit der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. Patricia Appel

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Foto: Dr. Patricia Appel ©Vittorio Manta

Eine Postkarte mit dem Gelassenheitsgebet von Reinhold Niebuhr, dem amerikanischen Theologen und Philosoph, steht auch auf meinem Schreibtisch: „Gib mir Gelassenheit, Dinge zu akzeptieren, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Eigentlich dachte ich, dass ich den Spruch verinnerlicht hätte. Doch erst im Gespräch mit der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. Patricia Appel über Resilienz, der psychischen Widerstandsfähigkeit, die manche Menschen scheinbar fast unbeschadet durch die schlimmsten Krisen kommen lässt, wurde mir die ganze Dimension des überaus klugen Ratschlags bewusst.

„Es geht darum, zu erkennen: Wo bleib ich dran, wo lass ich los“, weiß Dr. Appel aus ihrer Erfahrung in der Behandlung von schwer traumatisierten Patienten, etwa multiplen oder Borderline-Persönlichkeiten, genauso wie von Stressmanagement-Seminaren, die sie an der ARD.ZDF medienakademie hält. „Akzeptieren, was ist“, das zeichne resiliente Menschen aus, so Dr. Appel. Aber mal ehrlich … eine Situation, die man sich so nicht wünscht, bedingungslos hinzunehmen, ohne gegen sie anzugehen, ohne sie verändern zu wollen … wie schwer ist das denn?

„Das Leben ist schön, von einfach war nie die Rede“, könnte man jetzt entgegnen. Für die Leiterin der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz der Uni Würzburg fängt Resilienz beim Umgang mit dem eigenen Körper an. Sie kennt die Modelle der Kollegen über die verschiedenen Eigenschaften respektive Schutzfaktoren, die resiliente Menschen aufweisen wie beispielsweise Akzeptanz, Optimismus, Lösungsorientierung, Selbstregulation, Übernahme von Verantwortung (Verlassen der Opferrolle), Netzwerkorientierung und Zukunftsplanung, etwa von den amerikanischen Resilienzforschern Karen Reivich und Andrew Shatté.

Sie negiere diese Forschung nicht, integriere vielmehr einzelne Aspekte in ihr Konzept, sehe Resilienzquellen aber ganzheitlicher: Ressourcen bergen für Dr. Appel der Körper, Gefühle, Kognitionen, soziale Beziehungen und übergeordnet der Sinn. „Wenn ich nicht genügend esse, trinke, schlafe oder Pausen mache, sprich, meinen Körper nicht stärke, kann ich seelisch nicht loslassen“, konstatiert die Resilienztrainerin.

Apropos loslassen … der Impuls, der am stärksten mit dem „Wo lass ich los“ verknüpft ist, sei das Ausatmen, so die 45-Jährige. „Wenn man keine Gefühle mehr zulassen möchte, hält man oft die Luft an.“ Daher sei der „Feierabend-Seufzer“ als Trenner zwischen Arbeits- und Privatleben eine gute Möglichkeit, vorerst „einen Haken“ unter den einen Bereich zu machen, so die Psychotherapeutin.

„Das war mein Minimax-Prinzip bei langen und schwierigen Diensten in der Akut-Psychiatrie … vor allem, wenn keine Zeit für eine Pause war, habe ich mir angewöhnt, nach jedem Patienten-Kontakt einmal tief auszuatmen!“ Neben dem Körper seien auch Emotionen eine wichtige Quelle der Resilienz, so Appel. Daher gehe es darum, Gefühle nicht zu verbannen, sondern sie als Orientierung zu nutzen und wenn nötig zu regulieren. In Schach halten solle man auch seine inneren Antreiber, etwa das Streben nach Perfektion, es jedem recht machen zu wollen oder schneller und besser als die anderen zu sein.

Neben diesen kognitiven Resilienzquellen können auch soziale Beziehungen widerstandsfähiger machen: „Indem ich mich mit Menschen umgebe, die mir guttun, komme ich besser durch den Tag oder durch schwierige Zeiten!“ Und das letzte, übergeordnete Prinzip, das der Resilienz in die Hände spielt, sei der Sinn, den ich in meinem Tun sehe. Sinnhaftigkeit mache resilient. Resilient, woher kommt das Wort eigentlich? Aus dem Lateinischen von „resilire“, was soviel heißt wie „zurückspringen, abprallen“. Der Begriff „Resilienz“ wurde zunächst in der Materialkunde verwendet. Er beschrieb die Fähigkeit eines Materials nach einer elastischen Verformung in den Ausgangszustand zurückzukehren. Übertragen auf die Physiologie und Psychologie des Menschen, könne man bei resilienten Persönlichkeiten von „Menschen mit Knautschzonen“ sprechen, so Dr. Appel.

Diese Personen sind nicht „unkaputtbar“. Sie kämpfen und leiden, genauso wie andere. Sie verbiegen sich bisweilen auch, aber zerbrechen nicht, weil sie flexibel sind und mit Herausforderungen wachsen. Sie lernen aus dem, was ihnen zustößt, und versuchen es in ihr Leben zu integrieren. Und daher gehen sie nicht selten gestärkt aus Krisen hervor!

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