Mehr Tier als Pflanze

Bayerns erstes Pilzschutzgebiet nahe dem „Irtenberger Forst“

0

Den Blick suchend auf den Boden gerichtet, streift Rudi Markones, Hausarzt im Ruhestand, durch den Irtenberger Forst nahe Kist. Ausschau hält er nach Pilzen. Doch nicht, weil er auf der Suche nach einem Abendessen ist, sondern weil er sich als Hobbywissenschaftler der Erforschung der hiesigen Pilzarten und damit der Mykologie verschrieben hat. „Vermutlich Stängelbecherchen“, murmelt er, als er auf eine Gruppe winziger, weißer Kappenwesen aufmerksam wird. Hymensoscyphus laute der lateinische Name, erzählt er, es handle sich um Schlauchpilze und obwohl sie nur wenige Millimeter groß werden, zählen sie zu den Großpilzen. Im Mai 2019 wurde in dem Waldgebiet nördlich des Naturschutzgebietes „Blutsee-Moor“ im Landkreis Würzburg ein Gebiet ausgewiesen und offiziell zum ersten Pilzschutzgebiet Bayerns erklärt.

Das Gelände ist umzäunt, das Tor jedoch für jedermann offen: schauen und forschen erlaubt, sammeln für den Küchentopf verboten. Ehrenamtlich betreut wird das Pilzschutzgebiet von den Pilzfreunden Mainfranken, die Rudi Markones gründete. Seit mehr als einem Jahrzehnt ist er Mitglied der Bayerischen Mykologischen Gesellschaft und arbeitet als ehrenamtlicher Pilzberater. Dass man ihn heute eigentlich nie ohne Hemd mit Pilzdruck antrifft, ist nur das sichtbare Zeichen einer wahren Leidenschaft. Pilze, nach heutiger Kenntnis näher mit Tieren als mit Pflanzen verwandt, bilden ein eigenes großes Reich sogenannter eukaryotischer Lebewesen. Wie Pflanzen sind sie sesshaft, betreiben aber keine Photosynthese. Das bedeutet: Wie Tiere ernähren sie sich durch die Aufnahme organischer Substanzen. Weltweit sind derzeit rund 120.000 Pilzarten wissenschaftlich beschrieben. Mykologen gehen davon aus, dass dies nur zwischen drei bis acht Prozent der geschätzten globalen Vielfalt entspricht.

Rudi Markones ©Michaela Schneider

„Pilze selbst sieht man nicht, nur ihre Fruchtkörper. Und ähnlich verborgen sind sie heute auch vor der Wissenschaft“, betont Markones. Seine Faszination für die unerforschten Lebewesen reicht zurück bis in seine Kindheit. „Schon mit den Eltern ging ich in die Pilze, gesammelt wurde für den Kochtopf, wir kannten sieben bis acht Arten“, sagt der Unterfranke. 1984 wurde er durch Zufall auf eine wissenschaftliche Drei-Ländertagung über Pilze aufmerksam. „Mir eröffnete sich eine völlig neue Welt“, erzählt er. Vor rund 20 Jahren wurde bereits im baden-württembergischen Bad Mergentheim Deutschlands erstes Pilzschutzgebiet „Wolfental“ ausgewiesen, vor etwa zwei Jahren wurde es wiedereröffnet. „Ich dachte mir: Das könnten wir in Bayern ebenfalls machen“, sagt Markones. Er sprach mit den Pilzfreunden Mainfranken, nahm über den örtlichen Förster Kontakt zum Forstamt auf. Der Irtenberger Forst ist unter Schwammerlsuchern lange schon bekannt als besonders pilzreiche Gegend. Unter Experten ist vor allem das Schutzgebiet am Blutsee beliebt als Revier für seltene Arten, allerdings wachsen hier – auf Keuper – zum Teil komplett andere Arten als im nur einen Katzensprung entfernten Pilzschutzgebiet. Die rund ein Hektar große Fläche dort liegt auf Kalk. Es wachsen – typisch für die mainfränkische Seenplatte – Buchen, Eichen und Hainbuchen.

Im Mai 2019 wurde sie den Pilzfreunden Mainfranken zur Nutzung und wissenschaftlichen Untersuchung übergeben – vom Parkplatz aus gut erreichbar, aber abseits der Wanderwege. Das Gebiet ist eingezäunt, um Pflanzen und Pilze vor allem vor Rehen zu schützen. Rund 50 nummerierte Stämme unterschiedlicher Baumarten wurden abgelegt, um zu untersuchen, wie sich das Pilzwachstum auf unterschiedlichem Holz im Laufe der Jahre entwickelt. In einzelnen kleinen Biotopen unternehmen die Pilzfreunde weitere Versuche: So wurde etwa an einer Stelle Feuerasche eingebracht. „Früher zündelte man im Wald, um anschließend Morcheln zu ernten auf total verbranntem Waldboden“, erzählt Markones. Mit Körbchen, Messer und Fotoapparat ausgerüstet, streift der Experte zu guten Pilzzeiten mehrmals pro Woche durchs Pilzschutzgebiet. Schnuppern, Stil, Hut, Lamellen eventuell auch das Mycel begutachten, vielleicht schmecken: Eine Erstbestimmung macht Markones direkt vor Ort.

Jede neue Entdeckung wird fotografiert. Von neuen, seltenen, besonderen oder schwer zu bestimmende Arten nimmt er Proben zur näheren mikroskopischen Bestimmung mit nach Hause, aufbewahrt werden sie zur wissenschaftlichen Dokumentation getrocknet in Plastikbeuteln. Bereits im Jahr der Gebietsausweisung konnten die Pilzfreunde Mainfranken rund 180 Pilzarten registrieren, inklusive Xeromphalina Cauticinalis, wie der wissenschaftliche Name für den Bitteren Glöckchennabeling lautet. Nur eine Hand voll Funde sind bayernweit bislang bekannt. „Zehn Jahre werden wir brauchen, um halbwegs einen Überblick zu bekommen, welche Pilzarten im Gebiet wachsen“, schätzt Markones.

Share.