Kneippsche Wasseranwendungen

Professor Jost Langhorst über Heilung, die nicht vom Himmel fällt

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„Den Abgehärteten greift nichts an“, hat Pfarrer Sebastian Kneipp gesagt. Verweichlichung hingegen öffnet „Tür und Tor für sämtliche Krankheiten“. 200 Jahre alt wäre Kneipp 2021 geworden. Seine Thesen hören sich heute antiquiert an. Doch Kneipps Hydrotherapie, die er an sich selbst erfolgreich angewandt hat, ist nach Ansicht von Professor Jost Langhorst, Chefarzt der Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde am Klinikum Bamberg, heute noch genauso aktuell und wirksam wie zu seiner Zeit. „Kneipp ist ein Exportschlager – und das weltweit. Er hat die wichtigsten Prinzipien der Wasseranwendung definiert“, so der Mediziner. „Zum Beispiel: nie kalt auf kalt. Will heißen, erst aufwärmen, dann ein kurzer, kalter Reiz.“ Der Effekt: „Die Blutgefäße ziehen sich bei einer solchen Kälteeinwirkung zusammen, die Wärme wird im Körper gehalten. Anschließend erweitern sie sich wieder“, erklärt Jost Langhorst. Diese Temperaturreize bewirken ein Gefäßtraining, das die Durchblutung fördert, den Kreislauf anregt, den Stoffwechsel aktiviert und das Immunsystem moduliert. „Kneippen ist also ein gutes Training für die Gefäße ebenso wie für das Immunsystem.“ Aus diesem Grund integrieren Langhorst und sein Team das Kneippen in ihr Therapiekonzept in der neuen physikalischen Abteilung – „eine deutschlandweite Seltenheit in der Akutmedizin“.

Prof. Langhorst ©Jost Langhorst

In der physikalischen Abteilung der Bamberger Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde arbeiten sie unter anderem mit wassergefilterter Infrarothyperthermie und Infrarotkabine, Wickeln, etwa für Brust und Leib, Auflagen, Waschungen, Bädern sowie Blitz-, Teil- und Ganzkörper-Güssen. Die Wassertemperatur kann hierbei von warm bis kalt variieren. „Ziel der Behandlung ist es, dem Körper einen Reiz zu geben, auf den er reagieren muss, sei es mit Aktivierung oder Entspannung (Reiz-Reaktions-Prinzip)“, erklärt der Gasteroenterologe. Angewandt werden würde das bei chronischen und chronifizierten Erkrankungen etwa des Herz-Kreislauf-Systems oder Schmerzerkrankungen. „Viele dieser Patient:innen, zum Beispiel mit Rheuma, Fatigue oder Post-Covid, haben eine sogenannte Regulationsstarre. Sie sind nicht mehr in der Lage, Reize von außen adäquat zu regulieren“, so der Professor. Eine Hydrotherapie sei hier wie eine Art Trainingslager, damit wieder Schwingungsfähigkeit entstehe.

Auch beim Thema chronischem Stress biete die Hydrotherapie Unterstützung. „Es gibt viele belastbare Daten¹, die aufzeigen, dass Stress das Immunsystem schwächt“, so Langhorst. Schon Kneipp schien das verstanden zu haben. Er heilte bereits im 19. Jahrhundert Patient:innen mit Nervenkrankheiten. Doch gibt es Personen, die Abstand vom Kneippen nehmen sollten? Langhorsts Regel: „Jeder, der stehenden Fußes das Haus verlassen kann, der sollte damit arbeiten – auch im Alter.“ Für schwer eingeschränkte Patient:innen, die akut krank seien, wäre es nicht geeignet. Der Mediziner betont: Kneippen sei niederschwellig und kleinschrittig. Es sei nur eine – „gerne auch tägliche“ – Ebene, um die Dinge wieder in die richtige Richtung zu bewegen. Aber: „Heilung fällt nicht vom Himmel.“

Quelle:
¹https://www.pharmazeutische-zeitung.de/emotionen-steuern-das-immunsystem/seite/alle/

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