Heat Day Rules

Geriater Dr. Michael Schwab über gesundheitliche Gefahren durch Hitze im Alter

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„Wir steuern auf eine Erwärmung von 2,7 Grad Celsius zu“, so das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Um eine Übersterblichkeit aufgrund von bis zu 30 zusätzlichen Hitzetagen in den kommenden Sommern zu verhindern, sollen kommunale Hitzeschutzpläne helfen, betont Geriater Dr. Schwab. (©Susanna Khoury)

Es wird gern als Harvesting-Effekt (vorgezogenes Sterben um Tage oder Wochen) abgetan, wenn in heißen Sommern viele alte und kranke Menschen sterben. Stimmt aber nicht! Laut dem Versorgungsreport „Klima und Gesundheit“ der Medizinisch Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft in Berlin bedingen die durch den Klimawandel herbeigeführten Extremwetterereignisse wie Hitzewellen eine messbare Übersterblichkeit1. In der am besten dokumentierten Hitzewelle 2003 starben in Europa rund 70.000 Menschen, in Deutschland über 7.600. Die Übersterblichkeit etwa in Frankfurt lag damals bei 78 Prozent. Modellrechnungen prognostizieren für Deutschland einen Anstieg hitzebedingter Mortalität von 1 bis 6 Prozent pro 1 Grad Celsius Temperaturanstieg. Dies entspräche über 5.000 zusätzlichen Todesfällen im Jahr durch Perioden anhaltender Hitzebelastung bis Mitte dieses Jahrhunderts2. Mit diesem Wissen, so Geriater Dr. Michael Schwab, gelte es Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, dass vulnerable Gruppen wie Alte und Kranke besonders geschützt werden. „Die Mechanismen der Hitzeregulation sind im Alter per se reduziert“, so der Chefarzt des Würzburger Geriatrie-Zentrums. Das Durstgefühl lasse nach, die Hautdurchblutung funktioniere schlechter, vielfach vermindere sich die Nierenfunktion. All das lande am Ende des Tages beim Herzen, das mehr Pumpleistung aufbringen müsse, um den Organismus am Leben zu halten. Zudem würde die Mehrfach-Medikamentengabe, die im Alter oft ­nötig ist, einen weiteren ­Risikofaktor darstellen. Denn bestimmte Arzneien gehen auf Herz und Nieren, die an heißen Temperaturen besonders gefordert sind. Eine Forschergruppe, die über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit berichtet, prognostiziert bis zu 30 zusätzliche Hitzetage jeden Sommer in Süddeutschland1– mit massiven Auswirkungen etwa auf Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Will heißen, wenn wir das Ziel des Pariser Klimaabkommens, den Stopp bei 1,5 Grad Erderwärmung, nicht schaffen und bei 2 oder sogar 3 Grad Celsius landen, könne das, Hochrechnungen zufolge, eine Verdreifachung der Herzinfarkte bei 2 Grad und eine Verzehnfachung bei 3 Grad bedeuten1. Abhilfe tut Not, aber wie? „Heat Day Rules“ (Regeln für heiße Tage) seien angezeigt, so Dr. Schwab. „Unsere Nachbarn machen es uns vor. Bei Hitze sind in südlichen Gefilden zwischen 11 und 17 Uhr nur Tourist:innen unterwegs, keine Einheimischen.“ Diese leben mit der Natur und vereiteln so schädliche Auswirkungen der Hitze auf die Gesundheit. Zur Hitze-Prophylaxe gehöre neben der Vermeidung praller Sonne eine Kopfbedeckung, ausreichend Flüssigkeitszufuhr, luftige Kleidung und abgedunkelte und auf Durchzug angelegte Wohnräume sowie eine Anpassung der Medikation, betont der Geriater. Zur ganzen Wahrheit gehöre aber auch, dass während der Hitzewellen 2003 in Frankreich viele alte Menschen gestorben sind, weil sie wegen der hohen Temperaturen nicht in der Lage waren, aus dem Haus zu gehen, um Essen, Getränke oder Medikamente zu besorgen. Versorgungssicherheit für Risikogruppen ist ein weiterer Punkt, der während einer anhaltenden Hitzeperiode gewährleistet sein müsse, sei es über Mediziner:innen, Pflegedienste, Familie, Freund:innen oder Nachbar:innen. Selbst Telefonketten könnten hier Leben retten, so Dr. Schwab, der für ein tägliches Visitieren plädiert, das aber realistisch gesehen von Hausärzten nicht leistbar ist. Positiv zu vermelden sei, dass „Planetare Gesundheit“ seit 2022 in allen Fächern des Medizinstudiums sowie in den Fachgesellschaften und Kommunen angekommen ist. Laut Schwab arbeite das Gesundheitsamt derzeit auf Hochtouren an einem Hitzeschutzplan für Würzburg. 

Quellen: 1C. Günster | J. Klauber | B.-P. Robra | C. Schmuker | A. Schneider (Hrsg.): Versorgungs-Report: Klima und Gesundheit, MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin 2021, ISBN 978-3-95466-627-0 (Open Access PDF), www.mwv-berlin.de, ²An der Heiden, M.; Muthers, S.; Niemann, H. ; Buchholz, U.; Grabenhenrich, L.; Matzarakis, A. (2019):  Schätzung hitzebedingter Todesfälle in Deutschland zwischen 2001 und 2015. In: Bundesgesundheitsblatt 62, Heft 5, S. 571-579

Mehr Infos: www.buergerspital.de

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