Goldstandard: Mikrochirurgie

Dr. Steffen Amend über das weite Feld der Wirbelsäulen-Chirurgie

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Dr. Steffen Amend, Chefarzt Unfallchirurgie und Orthopädische Chirurgie, Haus Haßfurt der Haßberg-Kliniken, beschäftigte sich schon als Student im Rahmen seiner Doktorarbeit mit der Wirbelsäule. In der Facharztausbildung konnte er dann in der Wirbelsäulenabteilung einer größeren orthopädischen Klinik auch operative Erfahrungen auf diesem Gebiet sammeln. Seitdem ließ ihn die Wirbelsäulen-Chirurgie nicht mehr los. Foto: ©Michael Wagenhäuser

„Wirbelsäulen-OP“ – dieses Stichwort treibt den allermeisten Menschen immer noch Schweißperlen auf die Stirn. Bilder, wie etwa lebenslang nach dem Eingriff an den Rollstuhl gefesselt zu sein, laufen sogleich vor dem inneren Auge ab. Die durchaus verständlichen Ängste der Patienten seien in den allermeisten Fällen unbegründet, sagt der Chefarzt der Abteilung Unfallchirurgie und Orthopädische Chirurgie der Haßberg-Kliniken in Haßfurt, Dr. Steffen Amend.

„Die speziellen Operationsrisiken sind durch die Nähe der Wirbelsäule zu wichtigen Strukturen und Organen bedingt. Hier sind die Rückenmarkshäute, das Rückenmark und die Nervenwurzeln zu nennen. Muss man von der Seite oder von vorne an der Wirbelsäule operieren, kommt man in die Nähe der großen Blutgefäße oder am Hals von Luftröhre und Speiseröhre, wo prinzipiell eine Verletzung möglich ist. Zusammengefasst kann man jedoch sagen, dass durch eine sorgfältige Arbeitsweise Komplikationen in den allermeisten Fällen vermieden werden können“, so der Mediziner mit Schwerpunkt Wirbelsäulen-Chirurgie.

„Wirbelsäulen-Chirurgie“ – Was beinhaltet dieses Fach? „Alle operativen Eingriffe an der Wirbelsäule, von der Halswirbelsäule bis zum Kreuzbein – von akuten Bandscheibenvorfällen über verschleißbedingte Veränderungen, gut- oder bösartige Neubildungen oder auch Wirbelbrüche“, berichtet der Mediziner aus seinem Alltag.

„Deutschland hat Rücken“

Fast jeder dritte Erwachsene in Deutschland hat Rückenbeschwerden. Erkrankungen des Rückens (ICD M40-M54) zählen zum übergeordneten Diagnosekapitel der „Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens“, und seien laut dem Statistik-Portal statista für rund ein Viertel aller Arbeitsunfähigkeitstage hierzulande verantwortlich. „Deutschland hat Rücken“ – das ist nichts Neues, neu seien laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung („Faktencheck Gesundheit“, 2017), dass 2007 452.000 OPs am Rücken vorgenommen wurden, während es 2015 772.000 Eingriffe in Deutschland gegeben habe. Das sei eine Steigerung um rund 70 Prozent. Da liegt die Vermutung nahe, dass heutzutage oft unnötig oft am Rücken operiert werde, oder?

„Solche pauschalen Statistiken sind meiner Meinung nach nicht verwertbar“, sagt Dr. Steffen Amend. „Wer soll denn bitte im Nachhinein am Schreibtisch entscheiden, ob eine Operation notwendig war oder nicht. Jede Entscheidung für eine Operation muss nach Kenntnis aller Befunde und vor allem auch nach persönlicher Untersuchung des Patienten getroffen werden. Keine Institution, sei es eine Krankenkasse oder ein ärztliches Kontrollgremium, können meines Erachtens, ohne genaue Kenntnis des Sachverhaltes darüber urteilen“, betont der Wirbelsäulen-Spezialist.

Dr. Amend räumt jedoch ein, dass es durchaus fragwürdige Operationsmethoden gäbe, bei denen Kollegen, die zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes die Indikation zu einer Operation eher großzügig stellten. Dies werde, so Amend, teilweise unterstützt durch den Wettbewerb der Kliniken untereinander und bei den Implantate-Herstellern durch die Entwicklung und Vermarktung von mehr oder weniger sinnvollen Implantaten und Operationsmethoden.

Vertrauen ist alles!

Aber wie kann man sich da als Patient sicher sein, dass die angeratene OP wirklich notwendig, respektive alternativlos ist? „Ganz wichtig ist meines Erachtens ein Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt“, konstatiert der engagierte Orthopäde und Unfallchirurg. Legitim sei natürlich auch das Einholen einer Zweitmeinung. Amend rate jedoch davon ab, zu viele unterschiedliche Ärzte zu konsultieren, sogenanntes Ärztehopping zu betreiben, das fördere schlussendlich eher die Verwirrung bei Patienten durch unterschiedliche Aussagen und Formulierungen, die unterm Strich vielleicht das Gleiche bedeuteten, so Amend. Die Unsicherheit der Patienten, die eben keine Kommunikatoren auf Augenhöhe mit dem Arzt sind, werde dann wie so oft auf dem Rücken des Gesundheitssystems ausgetragen. Unnötige Kosten könnten vermieden werden, einfach durch ein vertrauensvolles Miteinander mit der positiven Nebenwirkung eines guten Gefühls auf beiden Seiten.

Apropos „Rücken“ – wie lokalisiert man den Ort, wo der Schmerz herkommt? Am Anfang jeder Diagnostik stehe die gründliche Anamnese (Erhebung, wann und wo die Schmerzen auftreten, und wodurch die Schmerzen sich verändern) und die klinische (körperliche) Untersuchung. Man bekomme dann schon eine Idee, was die Schmerzen verursachen könnte. Nachfolgend müssten dann noch bildgebende Verfahren (Röntgen, CT, MRT) durchgeführt werden, um die möglichen Schmerzursachen im Bild darzustellen. Zuletzt müsse man dann die sichtbaren Veränderungen mit den Beschwerden in Einklang bringen und so die Stelle finden, die man behandeln muss, erklärt der Dr. Steffen Amend die Diagnostik bei Rückenbeschwerden. Wie schaut es aus, wenn es nun die Wirbelsäule betrifft? Können Sie anhand eines konkreten Beispiels, wie etwa einer Spinalkanalstenose, benennen, wie die weitere Vorgehensweise ist?

„Wenn man sicher ist, dass eine Spinalkanalstenose die Beschwerden verursacht, hängt das weitere Vorgehen von deren Ausprägung ab. Bei einer leichten Stenose und erträglichen Beschwerden kann man mit spezieller Krankengymnastik und schmerzlindernden Medikamenten eine gewisse Besserung erzielen“, sagt Dr. Amend. Falls keine Besserung eintrete und vor allem auch bei einer sehr starken Stenose, bleibe in einigen Fällen nur noch die Operation. Neben der Stenose gibt es noch andere Erkrankungen der Wirbelsäule. Welche sind das und wie ist hier die Therapie?

Laut des Wirbelsäulen-Experten würden die häufigsten Beschwerden durch Gelenkverschleiß der kleinen Wirbelgelenke (Facettengelenke), die sogenannte Spondylarthrose verursacht. Hier sei am wichtigsten die Aufklärung des Patienten, der langfristig selbständig gezielte Aufbauübungen für die Rumpfmuskulatur durchführen und durch Haltungs- und Bewegungsschulung die Belastung für die Wirbelsäule reduzieren müsse. Die vorübergehende Einnahme von reizhemmenden Schmerzmitteln oder eine gezielte Spritze an die kleinen Wirbelgelenke könne bei akuten Beschwerden eine Besserung bringen. Bei dauerhaften Schmerzen könne man gute ­Erfolge durch eine sogenannte Denervierung (Verödung) der Schmerzfasern an den kleinen Wirbelgelenken erreichen, so Amend.

Endoskopisch versus mikrochirurgisch

Sehr häufig komme es auch zu akuten Bandscheibenvorfällen, vor allem an der Hals- und Lendenwirbelsäule. Je nach Beschwerden, könne auch hier zunächst konservativ mit Schonung, Physiotherapie und schmerzlindernden und abschwellenden Medikamenten behandelt werden. Nur bei sehr hartnäckigen Beschwerden oder relevanten Gefühlsstörungen und Lähmungserscheinungen sollte ein Bandscheibenvorfall operativ entfernt werden.

„Am häufigsten beschäftigen wir uns mit osteoporotischen Frakturen des älteren Menschen, die sehr gut minimalinvasiv mittels einer Kyphoplastie (Aufrichtung des Wirbelkörpers und Zementstabilisierung von innen) behandelt werden können“. Und zu welchem Prozentsatz werden Wirbelsäulen-Operationen endoskopisch gemacht? Man könne an der Wirbelsäule endoskopisch etwa im Brustkorb durch eine Thorakoskopie arbeiten. Dies komme vor allem bei schwerwiegenden Wirbelkörperbrüchen oder längerstreckigen Versteifungen in Frage.

„Nach meiner persönlichen Schätzung führen in dieser Region rund ein Viertel der Krankenhäuser thoraskopische Eingriffe durch“. Ein weiteres Feld für endoskopische Wirbelsäuleneingriffe sind Bandscheibenvorfälle und Stenosen (Engstellen) im Bereich der Lendenwirbelsäule. Auch hier seien es wenige Anwender, die endoskopisch arbeiten.

„Der Goldstandard ist nach wie vor ein mikrochirurgischer Eingriff mit sehr kleinen Hautschnitten unter Verwendung eines Operationsmikroskops“, wie er im Haus Haßfurt der Haßberg-Kliniken durchgeführt wird“, betont Chefarzt Dr. Steffen Amend.

Quellen: www.de.statista.com, www.bertelsmannstiftung.de//de/publikationen/publikation/did/faktencheck-ruecken/, Für die Analyse im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hat das IGES-Institut auf die Fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik (DRG-Statistik) und Daten des Statistischen Bundesamtes zurückgegriffen.

Das Interview mit dem Chefarzt der Abteilung Unfallchirurgie und Orthopädische Chirurgie der
Haßberg-Kliniken in Haßfurt, Dr. Steffen Amend, führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury.

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