Gelenkig bleiben

Dr. Matthias Blanke, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, über Risiken bei Gelenksersatz

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Lebenslinie (LL): Bei welchen Symptomen ist eine Gelenk-Endoprothese angeraten?
Dr. Matthias Blanke (MT): „Bei zunehmenden Schmerzen, Bewegungslimitation respektive Einschränkungen der Mobilität kann ein Gelenksersatz (Endoprothese) angeraten sein. Allerdings ist hierbei eine sehr individuelle Entscheidung zu treffen. Handelt es sich um jüngere Patient:innen, die nur einen teilweisen Verschleiß der Knorpelregion haben, sind gegebenenfalls arthroskopische Verfahren mit Knorpelersatz-Operationen möglich. Bei anderen Patient:innen besteht ein derart starker Verschleiß des Gelenks, dass nur mit einer Total-Endoprothese ein gutes und dauerhaftes Ergebnis erreicht werden kann. Zwischen diesen beiden Optionen gibt es eine Vielzahl von Zwischenstufen, angefangen von der konservativen Therapie mit Gelenk-Injektion (künstliche Gelenkflüssigkeit (Hyaluronsäure) oder Eigenblut-Therapie) über die genannte Knorpelverpflanzung sowie Teil-Endoprothesen bis hin zur eben genannten Total-Endoprothese.“

LL: Mit welchen Operationsrisiken muss man rechnen?
MT: „Die Gefahr von Komplikationen hat sich in den letzten Jahren durch standardisierte, vor allem minimal-invasive Operationsmethoden sowie die sogenannte Fast-Track-Chirurgie deutlich reduziert. Allerdings ist jede Operation ein Eingriff, bei dem Komplikationen zwar gering, aber nicht auszuschließen sind. Auch hier besteht ein individuelles Risiko abhängig von Vorerkrankungen, bereits bestehender deutlich eingeschränkter Mobilität, erhöhtem Körpergewicht und dem Alter der Patient:innen. Auch wenn die Komplikationsrate gering ist, wirken wir einer Thrombose (Blutgerinnsel in den Venen) durch eine schnelle Mobilisation bereits am Tag der Operation unter Vollbelastung (Fast-Track-Chirurgie) sowie speziellen Kompressionsstrümpfen und Medikamenten entgegen. Aber auch Komplikationen wie Wundheilungsstörungen und/oder Luxationen (Auskugeln des künstlichen Gelenkes) können nicht hundertprozentig ausgeschlossen werden. Ursache hierfür sind meist Fehlverhalten oder Vorerkrankungen der Patient:innen (Diabetes mellitus, Adipositas etc.).“

Dr. Blanke ©vm-photodesign

LL: Im Hinblick auf den Austausch. In welchem Alter sollte man sich operieren lassen?
MT: „Hat ein:e Patient:in Schmerzen/Einschränkungen, ist in seiner/ihrer sportlichen Aktivität als auch im Alltag beeinträchtigt, sollte bei einer Arthrose ein künstliches Gelenk implantiert werden. Wir gehen davon aus, dass die heute implantierten künstlichen Gelenke 25 bis 30 Jahre, bisweilen noch länger halten. Deshalb ist es nicht notwendig, bestehende Schmerzen noch ein bis zwei Jahre bis zur Operation auszuhalten.“

LL: Wissenschaftliche Auswertungen be­legen, dass Kliniken nach einem Wechsel des sogenannten Hauptherstellers signifikant höhere Ausfallwahrscheinlichkeiten bei Hüft- und Knie-Endoprothesen aufweisen, also mehr Wechseloperationen nötig seien. Wie sehr beeinträchtigt ein Hersteller-Wechsel die Therapie?
MT: „Als Leiter des Endoprothetik-Zentrums an einem Schwerpunkt-Krankenhaus mit kommunalem Träger bin ich sehr froh über die Möglichkeit, Entscheidungen rein anhand guter Qualität und medizinischer Notwendigkeit treffen zu können. Ein Großteil unserer Endoprothesen stammt von deutschen Herstellern, die seit Jahrzehnten am Markt sind. Der von uns verwendete Gelenksersatz hat in breit angelegten Studien seine Haltbarkeit und Stabilität bewiesen. Die Weiterentwicklung von Gelenksersatz hat in den letzten Jahren zu einer derart hohen Qualität geführt, dass zum aktuellen Zeitpunkt aus diesem Bereich bahnbrechende Neuentwicklungen nicht zu erwarten sind. Deswegen muss ein Herstellerwechsel sehr kritisch überlegt werden. Ein finanzieller Aspekt, der gerne in den Raum gestellt wird, ist für mich und meine Klinik kein Kriterium. Als Mediziner mit Leib und Seele ist die Qualität und Haltbarkeit für uns ausschlaggebend.“

LL: Der Erstattungsbetrag für Prothesen (Sachkosten) orientiert sich am Mittelwert der Kosten aller einkaufenden Kliniken. Dies führt langfristig dazu, dass man eine schwarze Null im Rahmen der DRGs (Diagnosis Related Groups) für Gelenkersatz nur erwirtschaften kann, wenn man weniger Sachkosten einsetzt als im Durchschnitt. Heißt das für die Zukunft, dass Materialien für den Gelenksersatz vor allem günstig sein müssen?
MT: „Ich gebe Ihnen Recht, dass einige Krankenhausbetreiber gerade in den letzten Jahren durch Verwendung besonders ̦preiswerter̒ Endoprothesen eine negative Entwicklung dieser Kostenkalkulation in Gang gesetzt haben. Zu der von Ihnen aufgeführten Problematik der schwarzen Null kann ich für mich und meine Klinik festhalten, dass wir aufgrund der Menge der endoprothetischen Versorgungen trotz hochwertiger Prothesen adäquate Preise mit den Herstellern vereinbaren können. Wir implantieren zwar viele Endoprothesen, führen daneben aber eine Vielzahl weiterer Eingriffe von der Knorpelverpflanzung, Unfall-, Fuß-, Hand-, Schulterchirurgie etc. durch. Durch diese breite Aufstellung besteht bei uns diese Abhängigkeit im Bereich der Endoprothetik nicht.“

LL: Wie lange dauert der Heilungsprozess nach dem Einbringen
des künstlichen Gelenks?

MT: „Die heutzutage verwendeten Implantate werden im Hüftgelenk in der Regel zementfrei eingebracht und ̦wachsen̒ dann in den Knochen ein respektive der Knochen wächst auf die Prothesenoberfläche, dies dauert circa sechs Wochen. Im Bereich des Kniegelenkes oder auch in anderen Bereichen werden Prothesen oft durch eine Klebeschicht (Knochenzement) eingeklebt. Unabhängig von der eigentlichen Implantationstechnik wird heutzutage in der Regel eine volle Belastung bereits am Tag der Operation möglich. Die Heilung der Weichteilwunde ist nach ungefähr 14 Tagen abgeschlossen.“

LL: Wie schaut es mit Sportarten aus. Können alle Sportarten mit künstlichen Gelenken ausgeübt werden?
MT: „Viele Patient:innen kommen ja wegen Einschränkungen unter anderem in der von ihnen geliebten Sportart. Durch das künstliche Gelenk ist wieder ein beschwerdefreier Alltag, aber auch – und das ist unser Anliegen – die sportliche Betätigung möglich. Bei typischen Sportarten wie etwa Tennis, Golf oder Joggen muss unter Umständen nach Implantation einer Endoprothese ein bisschen am Bewegungsablauf gearbeitet werden. Ansonsten sind diese Sportarten in der Regel problemlos durchführbar. Viele meiner Patien:innten betreiben auch nach Implantation einer Endoprothese beispielsweise das Alpine Skifahren. Hier muss man natürlich eine gewisse Vorsicht walten lassen, man sollte nicht erst das Skifahren mit künstlichem Gelenk beginnen oder sollte sich auf blaue und rote Pisten beschränken. Sportarten, bei denen es zu hohen Stoßbelastungen oder Stürzen kommen kann, sind per se für Endoprothesenträger:innen eher nicht geeignet. Aber auch hier habe ich Patienten, die nicht loslassen können. Einer meiner Patienten führt Paragliding mit künstlichen Hüftgelenken durch. Bisher hat er damit keine Probleme.“

Das Interview mit Dr. Matthias Blanke, Chefarzt der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie, Hand- und Wiederherstellungschirurgie im Leopoldina Krankenhaus Schweinfurt, führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury.

www.leopoldina-krankenhaus.com

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