Gegen den Strom schwimmen

Dr. Andrea Langhorst über Misteltherapie in der Onkologie

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„Die Misteltherapie ist eine der am besten untersuchtesten Medikamente in der Onkologie“, sagt Dr. Andrea Langhorst. Zwar seien nicht alle Studien von sehr guter Qualität oder ganz unabhängig. Aber es gebe eine „gute Datenbasis“, die jedoch unterschiedlich bewertet werde. Die Fachärztin für Innere Medizin und Naturheilkunde in der Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde am Klinikum Bamberg macht sich für den Einsatz der anthroposophischen Therapie stark. Glücklicherweise stünde eine neue S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer Patienten und Patientinnen“, an der in Bamberg unter der Leitung von Professor Jost Langhorst, ihrem Ehemann, mitgearbeitet wird, kurz vor der Veröffentlichung. „Das gibt unserer Arbeit einen zuverlässigen Unterbau“, so Andrea Langhorst. „Die Mistel schwimmt biologisch gegen den Strom“, schwärmt die Expertin.

Die meisten Pflanzen wüchsen zur Sonne hin, die Mistel in alle Richtungen. Zudem wachse sie nicht in der Erde, sondern als „Halbschmarotzer“ auf Bäumen, die sie zum Teil für ihre Ernährung nutze. Das tue sie ohne Wurzeln, dafür aber mit „Senkern“. Zu guter Letzt trage sie Beeren, die im Winter ihre volle Pracht entfalten. „Die Faszination für diese Pflanze ist daher nicht neu“, verweist Langhorst etwa auf die Germanen oder die Kelten. „Um die Mistel ringen sich viele Mythen. Gleichzeitig gibt es aber auch einen jahrhundertealten Erfahrungsschatz, der zum Teil auch schon wissenschaftlich bestätigt wurde. Für mich hat die Mistel ihren festen Platz im Rahmen eines ganzheitlichen Konzeptes der begleitenden Krebsbehandlung neben und im Anschluss an Therapien der konventionellen Medizin“, sagt die Fachärztin, die ihre Patienten auch in der gerade neu etablierten Tagesklinik für Kassenpatienten onkologisch betreut. „Eingesetzt wird die Mistel vor allem zur Steigerung der Lebensqualität – in Bezug auf die innere Kraft.“ Viele Tumor-Patienten seien sehr erschöpft und ausgelaugt (Fatigue Syndrom).

Teils halte dieser Zustand auch länger an. Neben der Energie-Unterstützung sei die Mistel auch noch bei anderen Beschwerden zuträglich. Dr. Langhorst nennt hier exemplarisch depressive Verstimmungen oder Schlafprobleme im Rahmen einer Tumorerkrankung, aber auch ihren Einsatz als Unterstützung in der Schmerz-Therapie oder bei der Regulierung des Kalt-Wärme-Haushalts. Verabreicht werden Mistel-Präparate via Spritze. Die Injektion erfolgt in langsam aufsteigenden Dosierungen subkutan in eine Bauchfalte. „Als Tee oder Tablette wirkt die Mistel nicht ausreichend“, betont die Ärztin. Eine Anwendung der komplementären Misteltherapie sei nicht bei jeder Krebsart angeraten. „Die Mistel wird bei soliden Tumoren, die greifbar gemacht werden können, angewandt“, so die Naturheilkundlerin. Offen hierfür seien vor allem Brustkrebs-Patientinnen, es gebe aber auch Studien zu Darm-, Prostata- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs. „Ausnahmen bilden Krebsarten des Immunsystems, aber auch starke Autoimmun-Erkrankungen. Hier sind wir zurückhaltend, da wir das Immunsystem durch die Mistel nicht anregen und so die Situation verschlimmern möchten.“

Ganz ausgeschlossen aus der Mistel-Therapie sind für Dr. Langhorst Hirn-Tumore und Metastasen im Kopf. Gibt es darüber hinaus Risiken oder Nebenwirkungen? Ja, sagt die Expertin. In seltenen Fällen und je nach Dosierung könne Fieber auftreten – das wäre während einer Akut-Therapie wie einer Chemotherapie unerwünscht. Als Kriterium einer guten Wirkung auf das Immunsystem werde jedoch eine Lokalreaktion angesehen mit einer circa 2-Euro-großen Rötung für kurze Zeit nach der Injektion. Die Misteltherapie wird aktuell nur in der Palliativ-Situation „zur Steigerung der Lebensqualität“ von den Krankenkassen bezahlt. In der kurativen Situation, also in der Heilungsphase etwa nach einer Operation, wird sie nicht übernommen. Die Dauer der Mistel-Therapie sei Langhorst zufolge unterschiedlich zu bemessen. „Ziel ist es, die Patienten in ihrer Gesundwerdung und
Selbst-Regulationsfähigkeit zu unterstützen.“

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