Erholung, Entschleunigung & Innenschau

Waldbaden oder warum das Ökosystem Wald dem Menschen so gut tut. Im Gespräch mit Maria M. Kettenring, der Mitautorin von „Waldmedizin“

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„Die Zierbelkiefer ist das ‚Gesundheitsholz‘ schlechthin,
so Maria M. Kettenring. „Sie hat positive Effekte auf den Schlaf, hilft in schwierigen Zeiten, sich aufzurichten, aber auch abzugrenzen, wenn alles zu viel wird.“ Autorenfoto: ©Maria M. Kettenring

Das Beste im Leben ist umsonst und doch unbezahlbar wie „Waldbaden“. Jeder kann ohne spezielle Ausrüstung, egal ob jung oder alt, reich oder arm, zu jeder Zeit, allein oder mit anderen kostenlos im Wald spazieren gehen und die mit Terpenen angereicherte Luft einatmen. Terpene sind natürliche Duftstoffe, die die Bäume abgeben, um sich etwa vor Insekten, Bakterien oder Pilzen zu schützen.

„Spezifische Monoterpene, Alpha-Pinen und Limonen, wie sie in Fichten, Kiefern oder auch Zedern vorkommen, kreieren die typische Waldluft. Diese gelten auch als besonders heilkräftig und haben entzündungshemmende Eigenschaften“, sagt die Mitautorin des Buches „Waldmedizin“ Maria M. Kettenring. Zudem würden sie die Aktivität des parasympathischen Nervensystems erhöhen, wodurch man entspannt, so Kettenring.

Auf der Suche nach Erholung, Entschleunigung und Innenschau entdecken wir das natürliche Ökosystem „Wald“ mit seinen atmungsaktivierenden, heilenden und reinigenden Kräften für Körper, Geist und Seele wieder neu. Seit der Antike gibt es Aufzeichnungen über die heilende Kraft der Wälder, damals hieß es Silviotherapie (lateinisch „silva“ für „Wald“), sie ist eine der ältesten Heilmethoden der Menschheit. Mit den Forschungen japanischer Ärzte zu Stress-Management-Methoden kam das Thema „Wald“ mit dem Begriff Shinrin Yoku (Baden in Waldluft) neu aufs Tapet. Waldbaden ist die Kunst, sich mit allen Sinnen mit der Natur zu verbinden.

In Japan wird es seit 1982 praktiziert und seit Ende der 80iger-Jahre sogar von Ärzten auf Rezept verschrieben. Verantwortlich für das staatliche Gesundheitsprogramm „Waldspaziergang“ von Immunologe Professor Dr. Qing Li und Professor Yoshivumi Miyazaki, ist die Tatsache, dass sie wissenschaftlich belegen konnten, dass mehrstündige Waldausflüge unter anderem Stresshormone reduzieren und Herz-, Kreislauf und Immunsystem nachhaltig stärken.

Ihren Studien* zufolge erhöht einmaliges Waldbaden bereits die Produktion natürlicher Killerzellen (NK) im menschlichen Körper um 26,5 Prozent. NK sind fähig, Krebszellen und virusinfizierte Zellen zu erkennen und zu vernichten. Seien Probanden mehrfach im Wald gewesen, hätten sich die NK um beeindruckende 52,6 Prozent vermehrt, so die japanischen Wissenschaftler. Angelehnt an ihre Untersuchungen habe sich ergeben: Schon ein Waldbad pro Monat könne für die Dauer von zehn Tagen, die Aktivität von NK steigern und so die körpereigene Krebsprophylaxe unterstützen.*

Man sollte nie den Ast absägen, auf dem man sitzt, besagt ein altes Sprichwort, daher hat die Bundesregierung 2017 in ihrem Klimaschutzbericht beschlossen, bis 2020 fünf Prozent des deutschen Waldes sich selbst zu überlassen, sozusagen als „Urwald“**, sodass Mensch und Umwelt auch in Zukunft vom Ökosystem Wald profitieren können. Eine andere Redewendung besagt: Wie man in den Wald hineinruft, schallt es zurück … diese straft der Wald allerdings Lügen. Eher das Gegenteil ist der Fall. Wenn man sich lustlos, und erschöpft zu einem Waldspaziergang aufrafft, kommt man in der Regel entspannter und wohlgemuter wieder zurück.

Foto: © HLPhoto/stock.adobe.com

Verantwortlich dafür zeichnet laut Aromatherapeutin Maria M. Kettenring ganz eindeutig „die Waldluft, die wir bei einem Waldspaziergang einatmen, die gesättigt ist mit natürlichen ätherischen Ölen, die über die Nadeln und Zweige der Bäume an die Umgebung abgegeben werden und so die wohltuende Waldatmosphäre bilden“. Die Zirbelkiefer (Pinus cembra) beispielsweise sei das „Gesundheitsholz“ schlechthin: „Die Zirbelkiefer lässt den Atem vertiefen, hat positive Effekte auf den Schlaf, hilft in schwierigen Zeiten sich aufzurichten, aber auch abzugrenzen, wenn alles zu viel wird“, beschreibt die Mitautorin des Buches „Waldmedizin“ den Baum, der vorwiegend in der Alpenregion und in den Karpaten zuhause ist.

Im Gegensatz zur Zirbelkiefer eigne sich das Relikt aus der letzten Eiszeit, die Latschenkiefer (Pinus mugo) vor allem für körperliche Beschwerdebilder, so ­Kettenring. „Latschenkieferöl ist ein Klassiker unter den Baumölen. Es eignet sich besonders für atemstimulierende Einreibungen. Es ist schleimlösend, immunstimulierend, schmerzstillend und über die Raumluft verbreitet keimtötend.“ Und last but not least zu erwähnen ist der Baum, der einst dem griechischen Gott des Lichts, der Künste und der Heilkraft, Apollon, geweiht war, der Lorbeer.

„Bis heute ist der Lorbeerkranz ein Symbol und Auszeichnung für sportliche und geistige Größen“, beschreibt Maria M. Kettenring das „Salz der armen Leute“, wie der Lorbeer früher auch genannt wurde. In einer Zeit, in der Salz kostbarerer war als Gold. Die getrockneten Lorbeerblätter verliehen den Gerichten ein würziges und frisches Aroma. Lorbeeröl habe auch die Fähigkeit, innere Widerstände zu überwinden und Menschen zu befähigen, ihren eigenen Weg zu gehen, so die Autorin. Daher sei dieses kraftvolle ätherische Öl ein idealer Begleiter zu Beginn von Fastenkuren oder Entwöhnungsphasen. Zudem schütze Lorbeer vor Erkältungen und könne den Körper generell in kritischen Zeiten unterstützen, so die Fachfrau.

Waldluft als Medizin zum Einatmen? Bei allem, was die Wissenschaft über den Wald herausgefunden hat, ist es nicht verwunderlich, dass 2016 im mecklenburgischen Ostseebad Heringsdorf der erste Kur- und Heilwald*** eröffnet hat, Fachgesellschaften zur Förderung von Waldtherapie wie Pilze aus dem Boden schießen und an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München eine Weiterbildung zum Waldtherapeuten für Menschen in Gesundheitsberufen seit neuestem auf dem Studienplan steht.

Quellen: *Qing Li: Effects of. Forrest Bathing trips on human immun function in Environmental Health an Preventive Medicine (2010), Vol 15, Issue1, S. 9-17.doi.org/10.1007/s12199-008-0068-3, https://environhealthprevmed.biomedcentral.com/articles/10.1007/s12199-008-0068-3, ** https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/kabinett-beschliesst-klimaschutzbericht-1140220, *** www.kur-und-heilwald.de

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