Eltern sind nie „toxisch“

Psychologe wünscht echte Unterstützung statt Abwertung überforderter Mütter und Väter

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©Pat Christ

Der Mensch, heißt es, ist das Produkt seiner Erziehung. Das stimmt. Ist aber zu kurz gegriffen. Etliche Faktoren lassen das Wesen eines Menschen sich so oder so ausprägen. Dennoch hat Erziehung viel damit zu tun, wie ein Mensch als Erwachsener „tickt“. Wer Glück hatte, dem bescherte das Leben liebevolle, empathische Eltern. Wer nicht ganz so viel Glück hatte, erhielt Eltern, die, meist, weil sie selbst problembeladen waren, nicht immer liebevoll sein konnten. Kinder haben manchmal die Nase voll von ihren Eltern. „Sie können ganz schön enttäuscht sein“, bestätigt Andreas Schrappe, Leiter der Evangelischen Erziehungsberatungsstelle in Würzburg. Vielleicht werden sie öfter barsch angefahren. Vielleicht werden ihre Wünsche ignoriert. Dahinter steckt, wie der Psychologe betont, fast nie „vorsätzliche Bösartigkeit“: „Das ist sehr selten der Fall.“ Darum verwahrt sich Schrappe auch gegen einen neumodischen Ausdruck, mit dem Eltern abgewertet werden: Solche Eltern seien, liest man derzeit öfter, „toxisch“. Andreas Schrappe und seine Kollegen würden ein solches Wort niemals in den Mund nehmen. Eltern sollten ihren Kindern nicht alle Unarten durchgehen lassen. Gleichzeitig sollten sie ihnen Freiräume eröffnen. Sie sollten Grenzen setzen und Grenzen konsequent einhalten. Gleichzeitig sollten sie ihre Kinder nicht einschränken. Erziehung ist letztlich eine ganz schön schwierige Sache – an der man scheitern kann. Das Team der Erziehungsberatungsstelle weiß das. „Die Kategorie ‚Schuld‘ hat darum bei uns keinerlei Bedeutung“, unterstreicht Andreas Schrappe. Was nicht heißt, dass die Erziehungsberater nicht konfrontativ sein könnten: „Doch statt Schuld zuzuweisen, machen wir die elterliche Verantwortung klar.“ Kinder, sagt der Einrichtungsleiter, haben ein Anrecht auf ein gesundes Aufwachsen. Erfahren sie seelische oder körperliche Gewalt, wird die meist innerlich abgespeichert: „Diese Erfahrungen können dann reaktiviert werden, bekommt man selbst Kinder.“ In der Erziehungsberatung wird versucht, den Ursachen eines unguten elterlichen Verhaltens auf die Spur zu kommen. Liegen schlimme Erfahrungen in der eigenen Kindheit vor? Überfordert die berufliche oder finanzielle Situation? Im Idealfall, so Andreas Schrappe, sehen Eltern am Ende des Beratungsprozesses ihr Kind als wertvolle Person an, der man das Leben schenken durfte. Bei den Vätern und Müttern, die zu ihm kommen, handelt es sich um Eltern, die freiwillig Hilfe suchen. Zwar erhielten sie zum Teil von Familiengerichten oder Kinderärzt:innen den Tipp, Erziehungsberatung in Anspruch zu nehmen. Letztlich wird aber niemand zur Beratung gezwungen. Kinder, die, so Schrappe, ihre Eltern manchmal am liebsten „verschenken“ würden, können sich eigenständig an Erziehungsberatungsstellen wenden. „Das sieht das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz vor“, erläutert der Mitarbeiter der Diakonie. Hin und wieder geschieht es auch tatsächlich, dass ein Kind ohne Eltern auf die Klingel seiner Beratungsstelle drückt.

Fotos: ©depositphotos.com/@OceanProd,
Andreas Schrappe ©Pat Christ

 

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