Eine natürliche Haltung bewahren

Prof. Dr. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln über pubertierende, emotionale Muskeln und interne Kommunikation

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Prof. Dr. Ingo Froböse, Leiter des Zentrums für Gesundheit durch Sport und Bewegung der Deutschen Sporthochschule Köln. Foto: Monika Sandel

Prof. Dr. Ingo Froböse, Leiter des Zentrums
für Gesundheit durch Sport und Bewegung der Deutschen
Sporthochschule Köln. Foto: Monika Sandel

Eine doppelte-S-Krümmung ist für die Wirbelsäule „normal“. In dieser Position fühlt sie sich am wohlsten. Daher sollten wir diese Haltung, so oft wie möglich einnehmen, um Verspannungen und Schmerzen vorzubeugen.

24 freie Wirbel, die über 23 Bandscheiben flexibel miteinander verbunden sind, sowie acht bis zehn Wirbel, die zum Kreuzund Steißbein hin verwachsen sind, das ist unsere „knöcherne Mitte“. Diese verteilt fast das gesamte Gewicht des Körpers auf die Beine. Wenn hier etwas im Argen liegt, hat das Auswirkungen auf den ganzen Bewegungsapparat.

Dr. Ingo Froböse, Universitätsprofessor für Prävention und Rehabilitation im Sport an der Deutschen Sporthochschule in Köln, klärt im Gespräch mit Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury darüber auf, was wir täglich tun können, um (natürliche) Haltung zu bewahren.

Lebenslinie (L):„Es gibt nicht die richtige Haltung, weil es auch keine falsche Haltung gibt!“ – Wie ist dieser Ausspruch von Ihnen gemeint?

Prof. Dr. Ingo Froböse (IF): Nicht das Sitzen an sich ist gefährlich, sondern die langen, starren Sitzzeiten und da hilft auch kein „gerades Sitzen“, um das zu kompensieren. Insbesondere Personen mit Bürojobs sind hier im Fokus, denn sie verbringen im Schnitt 7,5 Stunden in sitzender Position. Das ist
in etwa die Hälfte der Zeit, die wir am Tag wach sind. Durch den Mangel an Bewegung wird die Muskulatur des Rückens zu wenig gefordert und verkrampft durch langes Verharren in einer Position im Bereich der Schulter- und Nackenmuskulatur. Der Hauptgrund für Rückenschmerzen ist in der Regel nicht eine Überforderung der Muskulatur, sondern eine Unterforderung!

L: Wie geht „rückenfreundlich“ …?

IF: Aktivität ist das Stichwort. Aktiv sitzen, aktiv stehen und am besten ständig die Position verändern – das ist rückenfreundlich. Die Basis für einen gesunden Rücken ist das Muskelkorsett des Rumpfes und das kann nur entstehen, wenn die Muskulatur ausreichend genutzt wird.

L: Wann belasten und letztendlich schädigen wir die Wirbelsäule am meisten und durch welches Verhalten?

IF: Zum einen durch Unterforderung und zu wenig Belastung. Muskeln, Bindegewebe, Bandscheiben und selbst Knochen wollen genutzt werden. Nur so können sie stützendes Korsett unserer Wirbelsäule sein. Die Wirbelsäule wird von der Muskulatur geschützt wie ein Airbag. Nutzen wir die Muskulatur zu wenig, so baut sie nach und nach weiter ab. Zum anderen ist Stress ein entscheidender Faktor. Muskeln sind sehr „emotional“ und reagieren empfindlich. Bei Stress wird das Hormon Kortisol ausgeschüttet, dies hat
direkten Einfluss auf den Organismus. Durch die Ausschüttung wird der Abbau von Eiweiß in der Muskulatur gefördert; Eiweiß bildet einen der Hauptbausteine der Muskulatur. Auch spannen sich bei Ärger die Muskeln an. Dauert dieser Zustand länger, führt das zu einem Sauerstoffmangel und einer Unterversorgung mit Nährstoffen. Auch das hat eine Reduktion der Muskulatur zur Folge.

L: Wie geht richtiges Heben und Tragen – überhaupt richtiges Verhalten im Alltag?

IF: Es gibt nicht DIE eine Bewegung zum richtigen Heben und Tragen. Der Rücken sollte nicht unphysiologisch belastet werden, wie etwa durch eine zu starke Überdehnung oder Verdrehung. Beim Tragen von schweren Lasten sollten Sie im Bauchraum und unteren Rücken Spannung aufbauen. Ziehen Sie den Bauchnabel nach innen. So wird die Lendenwirbelsäule stabilisiert. Falls der Gegenstand dennoch nicht leicht anzuheben ist, sollten Sie sich in jedem Fall Unterstützung beim Tragen holen.

L: Viele Menschen verbringen ihr Leben im Sitzen, wie kann ich hier Ausgleich schaff en auch bei 12-Stundentagen am Schreibtisch?

69 Prozent der Deutschen leiden unter Rückenschmerzen, zwölf Prozent sogar täglich, und 20 Millionen Menschen in Deutschland suchen deswegen jährlich einen Arzt auf. Foto: ©depositphotos.com-Wavebreakmedia

69 Prozent der Deutschen leiden unter Rückenschmerzen, zwölf Prozent sogar
täglich, und 20 Millionen Menschen in Deutschland suchen deswegen jährlich
einen Arzt auf. Foto: ©depositphotos.com-Wavebreakmedia

IF: Besonders bei Bürojobs ist es wichtig, regelmäßige Bewegungspausen einzulegen. Dadurch wird die Muskulatur regelmäßig gelockert. Jede Stunde sollten Sie sich ganz bewusst fünf Minuten bewegen. Das kann beispielsweise der Gang zur Toilette oder zum Kaffee holen sein. Zwischendurch ordentlich strecken ist auch gut für die Entspannung der Muskulatur. Auch eine Neuorganisation des Arbeitsplatzes trägt zu einer guten Rückengesundheit bei. Stellen Sie den Drucker nicht direkt neben den Arbeitsplatz und „zwingen“ Sie sich so häufiger aufzustehen. Außerdem können Sie anstatt der Mail ins Nachbarbüro, selber zu Ihren Kollegen rüber gehen. Das fördert nicht nur einen gesunden Rücken, sondern auch die interne Kommunikation. Nutzen Sie ein Telefonat, um aufzustehen und so die Muskulatur zu entkrampfen. Lauter kleine Maßnahmen mit großer Wirkung.

L: Für eine gute Haltung ist eine kräftige Rumpfmuskulatur wichtig, wie kann ich die trainieren. Wie oft muss ich dafür was tun und geht das in jedem Alter?

IF: Muskeln werden maximal 15 Jahre alt und sind somit ständig in der Pubertät. Das bedeutet, wir können sie aber auch in jedem Alter trainieren. Durch regelmäßiges Training kann man innerhalb eines
Jahres die Muskelkraft um 100 Prozent steigern. Langfristiger Erfolg ist von drei Faktoren abhängig: Kräftigung, Dehnung und Entspannung. Eine gute Mischung aus Belastung und Entspannung ist wichtig. Für einen dauerhaft gesunden Rücken ist eine regelmäßige Integration von Training in den Alltag Grundvoraussetzung. Am besten ist es, jeden Tag zehn bis 15 Minuten ein Krafttraining zu absolvieren.
Zu empfehlen ist beispielsweise das Core-Training. Diese Trainingsform zielt auf die tiefliegende Muskulatur des Rückens, die nicht willkürlich angesteuert werden kann. Die tiefen Muskeln sind ein wichtiger Stabilisator der Wirbelsäule.

L: Stimmt es, dass die Körperhaltung besser wird, wenn man einen Rundrücken vermeidet – warum stimmt es, oder warum stimmt es nicht?

IF: Extreme Haltungen wie ein Rundrücken oder Hohlkreuz sollten generell vermieden werden. Beim
Rundrücken wird beispielsweise die Atmung auf Dauer erschwert, denn das Zwerchfell steht hoch und engt dadurch das Herz und die Lunge ein. Eine Dehnung der Bauchmuskulatur ist bei einem Rundrücken
besonders wichtig. Wenn man aber hin und wieder mal einen runden Rücken macht, ist das nicht schlimm!

L: Warum ist Schonhaltung bei Beschwerden schlecht? Wie kann ich dagegen angehen eine Schonhaltung einzunehmen?

IF: Durch eine Schonhaltung wird das schwache Muskelkorsett noch weiter geschwächt. Deshalb sollte man bei akuten Schmerzen eine kurze Erholungsphase von ein bis zwei Tagen einlegen, aber danach auf jeden Fall wieder aktiv werden. Man muss aktiv gegen Beschwerden arbeiten und dadurch die schmerzenden
Bereiche stärken. Zusätzlich zur Kräftigung sollte eine Dehnung der Muskulatur stattfinden. Zur Linderung von aktiven Schmerzen können begleitende Maßnahmen ergriffen werden: Stufen- oder Seitenlagerung entlastet (bei akuten Schmerzen an der Brust- und Lendenwirbelsäule), auch Wärme kann helfen. Besonders bei Muskelverspannungen lockert Wärme die angespannte Muskulatur. Einige Menschen vertragen jedoch besser Kälte. Da muss jeder eine individuelle Lösung für sich finden.

Das Interview mit Prof. Dr. Ingo Froböse, Leiter des Zentrums für Gesundheit durch Sport und Bewegung der Deutschen Sporthochschule Köln, führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury

Eine Vergleichsstudie der Deutschen Sporthochschule Köln (2012 – 2013) unter Leitung von Professor Dr. Ingo Froböse konnte einen fast 5-fach besseren Erfolg beim Abnehmen anhand der genetischen Stoff wechselanalyse MetaCheck (R) im Vergleich zu herkömmlichen Diät- und Sportempfehlungen in einem Zeitraum von sechs bis neun Monaten beobachten.

Weitere Infos: www.dshs-koeln.de

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