Ein Reisender im OP

Neurochirurg Dr. Rupert Reichart über die Entfernung eines Hirntumors unter Hypnose

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„Der zu Hypnotisierende wird in eine tiefe Trance versetzt. Das dient der Entspannung und dazu, die Änderung des Verhaltens zu unterstützen,“ erklärt Dr. Rupert Reichart, Leitender Arzt für Schmerztherapie am Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt. Die medizinische Hypnose, so der Neurochirurg, diene einzig dem Wohl der Patient:innen. Sie müsse einen Grund wie zu Beispiel eine Behandlung haben. Im August letzten Jahres haben sich er und die Kolleg:innen aus der Neurochirurgie auf neues Terrain begeben. Sie haben erstmals in Bad Neustadt unter Hypnose einen Hirntumor entfernt. Im Hintergrund standen erfahrene Anästhesist:innen sprungbereit. Sie wurden nicht benötigt. Lediglich die Kopfhaut des Patienten wurde örtlich betäubt. Dr. Reichart führte damals die Hypnose durch. Und zwar aus einem „harten Grund“, wie der Mediziner, der seine Expertise unter anderem an der Medizinischen Universität in Wien erworben hat, betont.

Der Tumor des 54-jährigen Mannes befand sich unmittelbar in der Nähe des Sprachzentrums. Um den Verlauf der Operation exakt zu kontrollieren, entschieden sich die Expert:innen unter der Leitung des Operateurs Dr. Albrecht Waschke, Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie, für diese Methode. Solche Eingriffe im Rahmen einer Wach-Schlaf-Operation sind üblich. Allerdings würden die zu kontrollierenden Fähigkeiten hierbei leiden, so Reichart. Im aktuellen Fall war das anders: „In dem Moment, in dem die Hypnose beendet ist, sind die Patient:innen völlig klar und können ohne Beeinträchtigung kooperieren.“ Entscheiden sich Ärzt:innen für diesen Weg, ist einiges an Vorbereitung nötig. „Der erste Schritt ist das Angebot an die Patient:innen“, so der Schmerztherapeut, der zuletzt Leitender Oberarzt der Klinik für Neurochirurgie am Uniklinikum Jena war. Dort ist Hypnose in der Chirurgie seit Langem ein Thema¹. Anfang 2017 wurde hier unter seiner Beteiligung der wohl weltweit erste Eingriff zur Tiefenhirnstimulation bei starkem Zittern der Hände (Tremor) unter Hypnose durchgeführt². Im zweiten Schritt versuchen die Ärzt:innen eine gute Verbindung zu den Patient:innen aufzubauen und prüfen, ob sie auch Tief-Trance-fähig ist. „Das sind fast alle Menschen“, konstatiert Dr. Reichart. Vor der Operation werde die Hypnose mehrmals mit den Patient:innen „geübt“. Wichtig sei, dass sie strukturiert und nicht übermäßig ängstlich seien. Immerhin handle es sich um eine Hypnose über einen längeren Zeitraum.

In diesem Fall geht es in Gedanken auch nicht an einen „schönen“ oder „sicheren“ Ort. Das passe nicht in ein geschäftiges OP-Umfeld, so Reichart. „Ich vereinbare mit den Patient:innen eine ‚Reise‘, die sie kennen, die sie sich selbst ausgedacht haben. Auf diesem Weg können wir dann alles, was im OP passiert, einbauen.“ Von Bedeutung ist auch das dabei verwendete Vokabular. Begriffe, die mit Angst verbunden sind, werden nicht verwendet. Die Sprache ist immer positiv. „Das Interessante bei einer Hypnose ist: Je bedrohlicher das Umfeld, desto eher ist der Mensch bereit, sich an eine Stimme zu klammern und ihr zu folgen.“ Sagt er wirklich Ja zur Hypnose, kann er den wohl größtmöglichen Nutzen ziehen. Denn: „Patient:innen helfen sich aus eigener Kraft und nutzen Ressourcen, die sonst verschüttet sind.“

Quellen:
¹www.uniklinikum-jena.de/mpsy/Mitteilungen/Hypnose+in+der+Chirurgie-pos-4.html,
²www.jenaer-nachrichten.de/stadtleben/5555-hirn-op-unter-hypnose-weltpremiere-am-uniklinikum-jena

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