Durchblick & Durchbruch

Die Julius-Maximilians-Universität Würzburg feiert 125. Jahrestag der X-Strahlen und 175. Geburtstag Wilhelm Conrad Röntgens

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„Die X-Strahlen sind bis heute die Grundlage für viele neue Anwendungen in Wissenschaft und Technik“, würdigt Prof. Alfred Forchel Röntgens Leistung. Foto: Prof. Dr. Dr. h.c. Alfred Forchel @Daniel Peter

„Entdeckungen entstehen nur durch Zufall. Könnte man sie absehen, wären sie eine Entwicklung“, sinniert Prof. Dr. Dr. Alfred Forchel, Präsident der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, über den 8. November 1895. Wilhelm Conrad Röntgen hatte die Entdeckung der nach ihm benannten Strahlen an diesem Tag wahrhaft nicht erwartet. Schon länger untersuchte der Physiker in seinem Labor die Lichterscheinungen eines längst bekannten Physik-Experimentes mit Kathodenröhren. Die Folgen sind hinlänglich bekannt.

„Seine Entdeckung führte zu einer disruptiven Veränderung“, zeigt sich der Physiker Forchel fasziniert. „Hineingestolpert“ sei Röntgen in diese Angelegenheit jedoch nicht. Röntgen habe sich zu seiner Zeit in einer Wettbewerbssituation befunden. Mindestens zehn weitere Wissenschaftler hätten sich über die „offensichtlichen Eigenschaften“ von Kathodenstrahlen Gedanken gemacht. „Röntgen hat das Offensichtliche unterdrückt und so das Neue entdeckt“ – die sogenannten „X-Strahlen“. Sie revolutionierten das Krankenhauswesen. Und nicht nur das. Auch die Wissenschaft profitierte. Über 30 weitere Nobelpreise seien nach Röntgens Ehrung in Stockholm vergeben worden, die „nur durch die Verwendung von Röntgenstrahlen möglich waren“, so Professor Forchel.

Ohne die „X-Strahlen“ ist vieles, was heute selbstverständlich ist, nicht vorstellbar. In der Lebensmittelindustrie etwa helfen sie, Verunreinigungen aufzuspüren oder Befüllungen zu kontrollieren. Am Flughafen durchleuchten sie Gepäckstücke, in Maschinenhallen prüfen sie Werkstoffe und Archäologen nutzen sie, um Gesteine und Fossilien zu untersuchen.

Wissenschaft & Gesellschaft

„Röntgen war ein herausragender
Experimental-Wissenschaftler
seiner Zeit“ erklärt Prof. Dietbert Hahn. Foto: Professor Hahn © M. Hahn/privat

„Anhand des Doppeljubiläums, 125. Jahrestag der X-Strahlen und 175. Geburtstag Röntgens, will die Universität Würzburg zeigen, welche Bedeutung Wissenschaft für die Gesellschaft hat“, so der Uni Präsident. „Röntgen hatte sich geweigert, seine Entdeckung patentieren zu lassen. Nur dadurch war eine blitzartige Verbreitung möglich und es kam den Menschen viel früher zugute.“ Diese Botschaft müsse weitergetragen werden. Um dessen Vermächtnis bemüht sich hierzulande insbesondere das Röntgen-Kuratorium Würzburg.

Der Verein hat die Wirkungsstätte des Physikers mit Originaleinrichtung und -geräten wieder entstehen lassen. „Im Flur der Röntgen-Gedächtnisstätte werden an den Wänden Leben und Wirken von Wilhelm Conrad Röntgen sowie die wichtigsten Dokumente und Urkunden ausgestellt“, beschreibt der Vorsitzende des Vereins, Prof. Dr. Dietbert Hahn, den geschichtsträchtigen Ort.

„Im Originalentdeckungslabor befinden sich Teile der Bibliothek von Röntgen, sein Schreibtisch, sein Waffenschrank und ein Spieltisch, die früher in der Privatwohnung standen, ein Stockwerk über dem Labor Röntgens. In der Mitte des Entdeckungslabors findet sich ein Tisch, auf dem der Entdeckungsversuch nachgestellt ist. Dazu gehören verschiedene Originalröhren, Funkeninduktoren, Glasplatten und Kolben mit fluoreszierenden Substanzen und die Unterdruckpumpe Röntgens zur Herstellung von Vakuumröhren.“ Doch wer war Röntgen eigentlich?

„Da Röntgen in seinem Testament bestimmt hatte, dass nach seinem Tod alle privaten und beruflichen Aufzeichnungen verbrannt werden sollen, gibt es nur Aussagen zu seiner Person aus Fremdquellen“, erklärt Hahn. „Röntgen war ein begeisterter Experimentalforscher, der die meiste Zeit in seinem Labor verbrachte.“ Den wichtigsten Platz in seinem Leben nahm jedoch seine Ehefrau Bertha ein, die er als Student in Zürich kennengelernt und 1872 in Apeldoorn geheiratet habe. Mit ihr und einer großen Zahl von Würzburger Freunden unternahm er regelmäßig Urlaubsreisen in die Schweiz, vor allem nach Pontresina.

„Röntgen war ein passionierter Bergwanderer. Eine wichtige Rolle in seinem Leben spielte auch die Jagd, bei der er sich von den Strapazen des Alltags erholte.“ In Würzburg pachtete Röntgen ein Revier im Gramschatzer Wald, das er nach seinem Wechsel nach München an den Anatomen Albert von Kölliker weitergab. In dem Jagdhaus in Weilheim lebte Röntgen bis zu seinem Tod. Nach Aussagen seiner Zeitgenossen, so Professor Hahn weiter, lebte Röntgen zurückgezogen. „Er wurde bisweilen als kauzig beschrieben.“

Bei seinen Würzburger Freunden galt er jedoch als aufmerksamer Gastgeber, der im Freundeskreis unterhaltsam und lustig war. Es ist auch überliefert, wie sehr sich Röntgen daran störte, „nur“ auf diese eine Entdeckung reduziert zu werden. Zu Recht, wie Hahn findet. „Röntgen war ein begnadeter Experimentalphysiker. Er hat weit über 70 Arbeiten aus unterschiedlichen Bereichen veröffentlicht. Diese Arbeiten, die in Fachkreisen hoch angesehen waren, wurden jedoch von dem Erfolg seiner großen, die Welt verändernden Entdeckung der X-Strahlen überschattet.“

Wenn Prof. Dr. Thorsten Bley, Direktor des Instituts für Röntgendiagnostik am Universitätsklinikum Würzburg, an jene Entdeckung denkt, bekommt er leuchtende Augen. Es besteht kein Zweifel: Ohne diesen Wissenschaftler wäre sein Fachgebiet nicht denkbar. „Röntgen wurde 1901 absolut zurecht mit dem ersten Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Erst durch seine Entdeckung kam es 1905 zur Gründung der Deutschen Röntgengesellschaft.“ Aus der Röntgendiagnostik heraus hätten sich im Laufe der Jahre weitere bildgebende Verfahren und auch Therapien entwickelt.

Folgenreiche Entdeckung

„Wir wollen klinische Fragen klären. Deshalb
wenden wir nur so viel Röntgenstrahlendosis an, wie notwendig ist, um die Fragen zu beantworten und Diagnosen zu stellen, nicht
um tolle Bilder zu machen“, so Prof. Thorsten Bley. Foto: Professor Bley © Dr. Henner Huflage

Exemplarisch nennt der Mediziner hier die Computertomografie (CT), die Sonografie respektive den Ultraschall und die Magnetresonanz- und Kernspintomografie (MRT). Doch ohne „klassisches Röntgen“ komme die Medizin auch in der Moderne nicht aus. „Die Radiografie ist tatsächlich bezüglich der Untersuchungszahlen die stärkste Disziplin am Institut“, betont Professor Bley. Angewendet werde es zum Beispiel für die Darstellung von Frakturen und zur Kontrolle des Heilungsprozesses, zur Identifikation und Kontrolle von Fremdkörpern zum Beispiel von Kathetern und Drainagen oder zur ergänzenden Diagnostik bei Knochentumoren. In der Radiologie werde nach dem ALARA-Prinzip („As Low As Reasonably Achievable“) gearbeitet.

„Das bedeutet, so wenig Strahlen wie vernünftigerweise sinnvoll anzuwenden.“ Bei allen Untersuchungen werde daher genau darüber nachgedacht, ob es eine strahlenreduzierte oder gar strahlenfreie Anwendung gebe – vielleicht sogar mit besserer Aussagekraft, je nach Erkrankung. Insbesondere bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sehe man unter anderem „aufgrund der höheren Zellteilungsrate fünf Mal“ hin. „Selbst bei einer Anwendung wie der Computertomografie zur Darstellung feiner Strukturen wurde mittlerweile eine dramatische Reduktion der Strahlendosis erreicht – und das mit besseren Bildern“, sagt der international renommierte Experte.

Ab wann das diagnostische Röntgen „gefährlich“ werde, könne man pauschal nicht sagen. Es gebe jedoch die Möglichkeit eines deterministischen Strahlenschadens. „Das heißt, ab einer gewissen Schwellendosis entsteht ein Schaden. An diesen Punkt kommen wir mit unserer Diagnostik jedoch nicht.“ Die Frage der Würzburger Radiologen lautet: „Hat das aktuell bevorstehende Röntgen eine klinische Konsequenz für den Patienten?“ Das gelte auch bei sogenannten Verlaufskontrollen. Für sinnig hält der Mediziner einen Röntgenpass. Dieser kann die einzelnen Röntgenaufnahmen, die ein Patient bereits hatte, aufzeigen. Jeder kann ihn auf Wunsch bekommen.“

www.uni-wuerzburg.de/roentgen2020

Das Röntgenjahr 2020 nimmt Fahrt auf …
Die zum Auftakt des Röntgenjahres am 6. April im Congress Centrum Würzburg geplante Wissenschaftsshow mit Prof. Harald Lesch und den Physikanten wurde wegen der allgemeinen „Corona-Lage“ auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Voraussichtlich am 5. Juli findet das Campus-Festival zum Röntgenjubiläumsjahr auf der Campuswiese am Hubland-Süd zwischen den Gebäuden der Mensa und der Physik statt. Vom 22. bis 26. September gibt es dann das ganztägige Wissenschaftsfestival „Highlights der Physik“ am Rathausvorplatz, Unterer und Oberer Markt, Eichhornstraße sowie in den Räumlichkeiten der Universität. Tags zuvor lädt Ranga Yogeshwar zu „Highlights der Physik – die Wissenschaftsshow“ in die s.Oliver Arena. Die Universität Würzburg hat ein vielfältiges Vortragsprogramm inklusive Kinder-Uni aufgelegt. Außerdem ist eine Sonderausstellung zu Wilhelm Conrad Röntgen im Lichthof der Neuen Universität am Sanderring sowie im Mineralogischen Museum zu sehen. Die Schau „Das Unsichtbare sichtbar machen – mit Röntgenstrahlen Gesteine und Minerale durchblicken“ hat vom 19. Juni bis 6. Dezember ihre Pforten geöffnet. Die Röntgengedächtnisstätte bietet Führungen durch das Entdeckungslabor an. Alle Veranstaltungen im Röntgenjubiläumsjahr finden Sie unter www.roentgen2020.de.

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