Die Würde des Menschen ist unantastbar!

Wer stellt sicher, dass das auch für alte und kranke Menschen gilt?

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Der demografische Wandel ist in Deutschland längst angekommen. Die sinkende Zahl der Menschen im jüngeren Alter und die gleichzeitig steigende Zahl älterer Menschen verschieben den demografischen Rahmen in bisher nicht gekannter Art und Weise. Laut Statistischem Bundesamt ist jede zweite Person in Deutschland heute älter als 45 und jede fünfte Person älter als 66 Jahre. Dieser als schleichend empfundene Prozess des demografischen Wandels werde sich in naher Zukunft noch beschleunigen. Insbesondere werde die Zahl der Menschen im hohen Alter ab 80 Jahre beständig steigen. Auf der anderen Seite sieht es mit der Versorgungssicherheit der stetig alternden Gesellschaft nicht gut aus. Lebenslinie hat sich mit Walter Herberth, Leiter der Stiftung Juliusspital, Annette Noffz, Direktorin der Stiftung Bürgerspital, und Geriater Dr. Michael Schwab über ihre tagtäglichen Herausforderungen unterhalten …

Lebenslinie (LL): Die Stiftung Bürgerspital zum Hl. Geist war im Bereich der Geriatrischen Reha einer der Vorreiter in Bayern. Seit drei Jahren ist die Stationäre Reha des Bürgerspitals geschlossen (26. März 2020), nun musste die ambulante und mobile Reha auch stillgelegt werden. Aus welchen Gründen und mit welchen Folgen?

Annette Noffz (AN): „Von Beginn an war die Vergütung der Krankenkassen nicht ausreichend um unsere Kosten zu decken. Insbesondere in der stationären Reha fehlten uns im Durchschnitt pro Patient:in pro Tag rund 50 Euro. Wir hatten jahrelang in den Verhandlungen mit den Krankenkassen immer wieder versucht, diese Lücke zumindest deutlich kleiner werden zu lassen. Als Leistungserbringer haben wir leider nicht die Möglichkeit, die Kostenträger zu auskömmlichen Tagessätzen zu bewegen. Eine finanzielle Unterstützung der Rehabilitation aus Stiftungsmitteln, die jedes Jahr höher ausfiel, war in dem erforderlichen Umfang nicht mehr leistbar.“

LL: Bei einer Pressekonferenz der Stiftung Bürgerspital gemeinsam mit der AWO im letzten Jahr kündigte auch diese an, dass ihrer Geriatrischen Reha langsam die Puste ausgehe. Was bedeutet das für die Anschlussheilbehandlung alter und kranker Menschen, die aus dem Krankenhaus entlassen werden, wenn es keine Geriatrische Reha mehr in Würzburg gäbe?

Dr. Michael Schwab (MS): „Da geriatrische Rehabilitation nachweislich Selbständigkeit und Autonomie fördert, Pflegebedürftigkeit verhindert oder vermindert und Folgekrankheiten vorbeugt, droht bei vollständigem Fehlen geriatrischer Rehabilitationsangebote in Würzburg eine massive Zunahme von Pflegebedürftigkeit und dies in Zeiten, in denen ambulante und stationäre Pflegeangebote durch den eklatanten Personalmangel in der Pflege bereits jetzt unzureichend zur Verfügung stehen. Ohne Weiterversorgungmöglichkeit würden sich Krankenhausaufenthalte unnötig verlängern und resultierend Kapazitäten für neue Patient:innen fehlen. Ganz zu schweigen von der Tragik, dass Menschen im höheren Lebensalter eine wirksame rehabilitative Behandlung vollständig vorenthalten werden würde.“

LL: Laut aktueller Umfragen sehen sich ein Drittel aller Einrichtungen der Altenpflege von Insolvenzen bedroht. Wie kann mit Blick auf die demografische Entwicklung, Personalmangel in der Pflege etc., diese Spirale noch gestoppt werden? 

AN: „Sehr wichtig ist die Anerkennung der Kompetenzen der Pflegekräfte sowie Achtung und Respekt für deren Arbeit und Engagement. Nur wenn diese Berufe wieder attraktiv sind, werden wir genügend Mitarbeitende finden, die sich um Menschen kümmern, die Hilfe benötigen. Beitragen können zur Attraktivität beispielsweise eine 35-Stunden-Woche, geringerer bürokratischer Aufwand, das Zugeständnis von der Übernahme weiterer Vorbehaltsaufgaben für die qualifizierten Fachkräfte, die Eindämmung von zu vielen Überprüfungen und Kontrollen und das Verbot der Leiharbeit in der Pflege. Darüber hinaus brauchen wir dringend eine Verbesserung bei der Anerkennung von Fachkräften aus dem Ausland und auch bei der Ausstellung von Visa und Aufenthaltsgenehmigungen von Mitarbeitenden. Des Weiteren müssen wir über die Art der Pflegeversicherung diskutieren und darüber, dass in den Bereichen der Altenhilfe, wie auch im Gesundheitswesen und der Betreuung behinderter Menschen keine Gewinne erwirtschaftet werden, die an Anteilseigner ausgeschüttet werden. Und auch ein Engagement aller für die Gesellschaft kann
ein sehr gute Möglichkeit sein, dass wir  uns wieder mehr füreinander einsetzen; ob ein solcher Einsatz genau ein Jahr dauern soll und in welchen Bereichen dies möglich und sinnvoll ist, wird zu klären sein.“

LL: „Die Würde des Menschen ist unantastbar,“ das steht im Grundgesetz. Was muss geschehen, damit das für alte und kranke Menschen auch weiterhin gilt? 

MS: „Die Verantwortung einer Gesellschaft liegt darin, hilfedürftigen älteren Menschen ein würdiges Leben zu ermöglichen, eben gerade auch durch den Einsatz nachweislich wirksamer geriatrisch rehabilitativer Behandlung. In Zeiten der Verknappung finanzieller aber auch personeller Ressourcen müssen Prioritäten fundamental anders gesetzt werden. Geschieht dies nicht, sind die Folgen katastrophal.“

LL: Die Stiftung Juliusspital betreibt zwar keine geriatrische Reha, aber Seniorenstifte, kümmert sich um Schwerstkranke (palliative Versorgung) und Sterbende (Hospiz). Wie ist hier der Status quo? 

Walter Herberth (WH): „Das Seniorenstift ist grundsätzlich gut belegt, jedoch wird die Belegung dem jeweils verfügbaren Personalstand angepasst. Eine Warteliste ist vorhanden und baut sich aufgrund der vermehrten Nachfrage nach Pflegeplätzen weiter auf. Durch die Kumulation von Personalveränderungen waren im Hospiz im zweiten Quartal 2023 zeitweise nur acht von zwölf Betten belegbar, eine Situation, die sich aktuell wieder entspannt und die Möglichkeit einer Vollbelegung erwarten lässt. Durch Personalnot in Verbindung mit einer hohen Belegung auf der Palliativstation ist es zu einer starken Überstundenbelastung im Pflegebereich gekommen. Um diese zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden wieder auf Normalmaß zurückzuführen, musste zeitweise die Palliativstation 2 mit sechs Betten geschlossen werden.“

LL: Wie lange muss man in der Regel auf einen Platz in den einzelnen Einrichtungen warten?  

WH: „Die Wartezeit beim Seniorenstift kann mehrere Wochen oder auch Monate betragen. Grundsätzlich ist eine kurzfristige Aufnahme für einen Dauerpflegeplatz nicht zu realisieren. Die Wartezeit auf einen Hospizplatz beträgt zwischen einem Tag und drei Wochen. Maximal dringliche Palliativpatient:innen konnten bisher fast immer aufgenommen werden, bis auf Einzelfälle (vielleicht 15 pro Jahr). 

LL: Palliativpatient:innen haben in der Regel keine Zeit zu warten … wie kann man diesen Menschen ein würdiges Sterben ermöglichen?

WH: „Kann ein dringliche:r Patient:in nicht direkt auf die Palliativstation kommen, wird er:sie über die Notaufnahme im Akuthaus aufgenommen und zum nächstmöglichen Zeitpunkt auf die Palliativstation verlegt. Die Belegung der Palliativstation hat sich verändert. Die durchschnittliche Verweildauer lag vor 20 Jahren bei rund 14 Tagen und liegt heute bei rund sechs Tagen. Die Quote der dort versterbenden Patient:innen hat sich auf fast 90 Prozent erhöht. Der Grund hierfür ist, dass Patient:innen in der Regel zuhause bleiben möchten bis es nicht mehr anders geht – und das ist durch die guten Strukturen in Würzburg und Umgebung auch möglich, vor allem durch die Spezialisierte Ambulante Palliativ-Versorgung (SAPV). Der zweite Grund ist eine bessere Qualifikation der Allgemeinmediziner:innen im Bereich der Palliativ-Versorgung, was das Zuhausebleiben ebenso positiv unterstützt.
Ein weiterer Einflussfaktor ist auch die Möglichkeit der Aufnahme im Hospiz.“

LL: „Wie stellt sich die Stiftung Juliusspital dafür auf alte und kranke Menschen auch in Zukunft gut versorgen zu können?“ 

WH: „Die Stiftung Juliusspital verfolgt unablässig das Ziel, ihren Stiftungszweck ,Helfen und Heilen‘ auch in der Versorgung und Betreuung von alten und kranken Menschen bestmöglich zu erfüllen. Dies ist nur durch eine auskömmliche Finanzierung und durch die Verfügbarkeit von ausreichendem Personal möglich. Auch investieren wir stetig in unser höchstes „Kapital“, die Mitarbeitenden, beispielsweise durch Angebote wie Betriebliches Gesundheitsmanagement, Flexibilisierung von Arbeitszeiten und Gewährung von Homeoffice-Tagen mit dem Ziel der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder auch Hilfestellung bei der Wohnraumsuche und ein vermehrtes Angebot von Deutschkursen zur Deckung des Schulungsbedarfs, um Sprachbarrieren zu verringern und dadurch den Pflegefachkräften und Pflegehilfskräften die sach- und fachgerechte Pflege zu vermitteln.“ 

Das Interview mit Walter Herberth, Leiter der Stiftung Juliusspital, Annette Noffz, Direktorin der Stiftung Bürgerspital, und Geriater Dr. Michael Schwab führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury.

 

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