Der bunte Strauß der Anästhesie

Welche Narkoseform für wen bei welchen Eingriffen? Anästhesist Professor Patrick Meybohm gibt Auskunft

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Die Anästhesie hält einen bunten Strauß an Verfahren bereit. Was sind die häufigsten Narkoseverfahren und bei welchen Eingriffen werden diese angewendet? „Vielen Dank für den tollen Einstieg, die Frage könnte man gar nicht schöner formulieren“, meint Professor Patrick Meybohm, Direktor der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie am Universitätsklinikum Würzburg (UKW). Die moderne Anästhesie halte in der Tat einen bunten Strauß an Verfahren bereit: „Ich beginne bei Regionalanästhesieverfahren, hier betäuben wir gezielt einzelne Nerven und können damit zum Beispiel nur einen Arm oder nur ein Bein Stunden oder gar Tage schmerzfrei halten.“ Darüber hinaus hätten die rund 160 Anästhesist:innen am UKW noch Pfeile für weitere Narkosearten im Köcher – vom leichten Dämmerschlaf bis hin zur Königsdisziplin, der Vollnarkose. Hierbei handelt es sich um ein bewusst herbeigeführtes reversibles Koma, bei dem durch die Anästhesie das zentrale Nervensystem so beeinflusst wird, dass Bewusstsein und Schmerzempfinden im Körper für ein gewünschtes Zeitfenster ausgeschaltet sind.

Prof. Maybohm © Universitätsklinikum Würzburg

„Wenn ich an den letzten Blumenstrauß erinnere, den ich meiner Frau geschenkt habe, da war eine Blume schöner als die andere“, sagt Meybohm lachend. Aber Spaß beiseite … Es gibt bestimmte Zielgruppen, die beim Narkosegespräch auffallen, die individuelle „Rezepturen“ benötigen: Hochbetagte, mehrfach Vorerkrankte, Allergiker:innen, Kinder, Schwangere, Anämiker:innen.Wie findet man das „schönste“ Verfahren für wen? „Für die Wahl der ,Blumen‘ sind bestimmende Faktoren, das verfügbare Angebot, Eignung für den Anlass und persönliche Vorlieben ausschlaggebend“, so der Facharzt für Anästhesiologie. Der Vergleich mit dem Strauß hinke nur in einem Punkt: „In der Anästhesie gibt es keine Saison, alle Verfahren sind ganzjährig rund um die Uhr verfügbar!“ Faktoren, die die Wahl einer bestimmten Sedierungsart bestimmen, seien zunächst einmal der Mensch mit seinen Vorerkrankungen, Vorlieben und Wünschen. Dann der Eingriff selbst und schließlich die Dringlichkeit. „Ein Beispiel: Ein junger Mann ohne wesentliche Vorerkrankungen wird lebensbedrohlich verletzt. Es handelt sich zweifelsohne um einen Notfall, eine Operation ist unausweichlich. Hier sollte bereits an der Unfallstelle eine Narkose eingeleitet werden, die die Lebensfunktionen des Körpers erhält. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, dass eine Narkose Leben retten kann und lieber sofort als gleich initiiert werden sollte.“

Vom „Worst Case“ zum elektiven Eingriff. Hier könne in aller Ruhe ein Aufklärungsgespräch erfolgen, bei dem unter Einbeziehung der Anamnese und des präferierten Verfahrens für den Eingriff auch Ängste und Fragen ausgeräumt werden können. „Wir bekommen immer wieder zu hören, dass Patient:innen nicht nur Respekt, sondern wirklich Angst vor einer Narkose haben“, berichtet Meybohm. Die Angst gänzlich nehmen, könne man nicht, aber versichern, „dass sich die ganze Zeit unter Narkose ein absoluter Spezialist um alle lebenswichtigen Funktionen des Körpers kümmert, den Atemweg sichert und sofort reagieren kann, wenn es erforderlich ist!“ Der OP ist dank Narkoseärzt:innen nach wie vor einer der sichersten Orte. Trotz Corona wurden 2020 über 30.000 Narkosen am UKW durchgeführt. „Anästhesie“ ist soviel mehr als nur „schlafen legen“! Das anästhesiologische Angebot umfasse, so Professor Meybohm, Untersuchung, Beratung, Aufklärung, OP-Vorbereitung, Sicherheit, Medikation, Sicherung des Atemwegs, OP-Planung, Überwachung, Notfallversorgung oder auch postoperative Schmerztherapie.

„Wir besetzen am Uniklinikum Werktag für Werktag über 100 Arbeitsplätze und Positionen. Dafür halten wir über 160 hoch qualifizierte Mitarbeiter:innen vor. Neben dem Einsatz im OP sind Anästhesist:innen auf der Intensivstation aktiv und versorgen dort zusammen mit hoch qualifizierten Intensivpflegekräften schwerstkranke Menschen Tag und Nacht. Zusätzlich arbeiten wir als Notärzt:innen in der Stadt Würzburg, im Rettungshubschrauber sowie in umliegenden Landkreisen.“ Hört sich spannend und aufregend an. Apropos Aufregung: Ist ein Anästhesist noch aufgeregt bei seinem Job? Professor Meybohm: „Aufregung ist vielleicht das falsche Wort, aber Anspannung kennen wir durchaus. Unser Beruf ist verantwortungsvoll, schließlich sind wir es, die eine sichere Durchführung von Operationen ermöglichen, die vor mehr als zehn Jahren in dieser Form noch undenkbar waren. Routinen gibt es auch bei uns, aber ,business as usual‘ darf es nicht geben. Denn jeder Patient, jede:r Patient:in bedeutet ein eigenes Schicksal, das es einfühlsam, hochprofessionell und würdig zu begleiten gilt. Dafür geben wir täglich alles!“

Das Interview mit Prof. Meybohm, Direktor der Klinik
und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie am UKW führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury.

www.ukw.de/anaesthesie

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