Den gesundheitlichen Mehrwert im Blick

Lebenslinie im Gespräch mit Bio-Bäckermeister Ernst Köhler über Emmer, Dinkel und Pop-Weizen

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©Shuttle Design/Sandra Beckstein

Lebenlinie (LL): Emmer & Dinkel erleben gerade einen Nachfrageboom, gleichzeitig werden sie auf dem Markt immer knapper, können Sie das für Ihren Betrieb auch bestätigen?

Ernst Köhler (EK): „Glücklicherweise können wir das für unsere Lieferketten nicht bestätigen. Da wir all unser Getreide regional beziehen, sind wir von weltweiten Marktschwankungen zumindest in Bezug auf die Lieferfähigkeit verschont. Jedoch spüren auch wir die damit zusammenhängenden steigenden Rohstoffpreise, das macht auch vor uns nicht halt. Daher blicken wir gerade gespannt auf die diesjährige Ernte und deren zu erwartende Erträge in der Region.“

LL: Sie haben viele Dinkel- und Emmer-Brote im Sortiment, warum? 

EK: „Bei den beiden genannten Getreidesorten handelt es sich um sogenanntes Spelzgetreide, deren Körner von einer festen Hülle umschlossen sind, die sie vor schädlichen Umwelteinflüssen sowie Schädlingen und Pilzen besser schützt. Die Pflanzen sind somit resistenter, zudem lassen sie sich auch auf nährstoffärmeren Böden anbauen. Auf diese Weise bleibt das Grundwasser sauber und der Boden gesund. Es macht also allein schon aus Gründen des klimabewussten Handelns für eine enkeltaugliche Zukunft Sinn, auf solche Sorten zu setzen. Ferner muss man sagen, dass es wichtig ist, alte Sorten (beispielsweise Emmer oder Dinkel, der noch nicht wieder mit Weizen rückgekreuzt ist) anzubauen und zu verarbeiten, um gerade solche Sorten und deren Saatgut zu erhalten. Zum anderen – und das mag ebenfalls ein sehr wichtiger Punkt für uns sein – haben beide oben genannten Getreidesorten einen hohen Anteil an Mineralstoffen, hochwertigeren Eiweißen und Vitaminen, vor allem wenn sie als Vollkorn vermahlen werden. Nehmen wir das Beispiel der Phytase respektive der Phytinsäure. Phytinsäure findet sich in jedem Getreide, sie bindet Mineralstoffe an sich, so dass sich der menschliche Körper nur noch schlecht an ihnen bedienen kann. Im natürlichen
Keimprozess werden Enzyme aktiv (Phytasen), die diese Verbindungen wieder auflösen. Diese Phytase-Aktivität ist bei Dinkel deutlich höher. Der Gehalt an Phytinsäure im Getreide und im Teig sinkt mit der Zeit wie auch unter dem Einsatz von Backfermenten. Je länger der Teig ruht, desto bekömmlicher und nährstoffhaltiger wird er für unseren Organismus.“

LL: Warum punkten diese Sorten auch geschmacklich?

EK: „Dinkel und Emmer sind etwas nussiger und somit vielschichtiger im Geschmack als Weizen. Diese Tatsache lässt sich vielseitig und individuell nutzen, ganz egal ob im Brot, in Plunderteilchen oder im Pizzateig.“ 

LL: Auf was muss man bei der Verarbeitung achten im Vergleich zu anderem Getreide?

EK: „Es beginnt bereits mit dem Mahlprozess. Dieser ist aufwendiger als beim Weizen, da der harte Spelz aufgebrochen werden muss. Auch im Teig zeigt Dinkel andere Eigenschaften. Die Eiweißketten sind instabiler, was dazu führt, dass wir behutsamer kneten und dem Teig genügend Zeit zum Ruhen geben müssen. Des Weiteren bindet Dinkel weniger Wasser als Weizen, weshalb wir in unserer Backstube mit Vorteigen und Kochstücken arbeiten, die zusätzlich Wasser binden und dafür sorgen, dass das Brot saftiger und länger frisch bleibt.“ 

LL: Stichwort Populationsweizen, was hat es damit auf sich und wie unterscheiden sich die Brotwaren, die daraus entstehen? 

EK: „Seit Jahrzehnten sind Weizenfelder mit homogenen Ähren bepflanzt, die alle die exakt gleiche DNA aufweisen. Populationsweizen – oder kurz Pop-Weizen – hingegen bringt keine homogenen, eineiigen Zwillinge hervor, sondern heterogene ‚Geschwister‘. Jede Pflanze mit ihren eigenen, individuellen Stärken und Schwächen! Die eine Pflanze trägt beispielsweise mehr Körner, die unmittelbare Nachbarpflanze kommt mit Hitze und Trockenperioden besser zurecht und die nächste mit Frost. Somit kommen heterogen bepflanzte Getreidefelder deutlich souveräner durch den Klimawandel. Landwirte müssen, wenn sie die Ernte bei der Mühle abgeben, gewisse Backqualitäten nachweisen. Dafür wird die Fallzahl oder der Kleberwert bestimmt. Erreicht das Korn nicht die geforderten Qualitätswerte, führt das unter Umständen zu einer Minderung des Preises, den der Landwirt für sein Getreide erhält, da bei bestimmten Getreidesorten vorausgesetzt wird, dass sie immer die ,gleich guten‘ Werte enthalten. Ganz anders beim Populationsweizen: Hier steht die volle Genvielfalt auf dem Acker, was aber natürlich bedeutet, dass sich Kleberwerte sowohl von Jahr zu Jahr, als auch von Standort zu Standort unterscheiden können. Es gibt Betriebe, die diese Getreide verarbeiten und den Landwirten die Sicherheit geben, die Ernte in jedem Fall zu einem fairen Preis abzunehmen. Hier muss die ganze Kette von der Saat über die Mühle und der Bäckerei bis hin zum Endkunden stimmen! Die verarbeitenden Bäckereien müssen sich also jedes Jahr aufs Neue auf das geerntete Korn einstellen und gegebenenfalls Rezepturen anpassen. Für uns ist das völlig okay und sogar gut so – schließlich entstehen bei uns in der Backstube Brote und Backwaren sowieso absolut handwerklich. Bezüglich der aus Populationsweizen entstandenen Produkte: Unterschiede gibt es hier ,lediglich‘ in der Verarbeitung des Korns und der Bearbeitung der Teige, der Mineral- und Nährstoffgehalt unterscheidet sich nicht vom ,regulären‘ Weizen.“ 

LL: Und warum sind diese Produkte, die daraus entstehen, nicht mit Weizenprodukten etwa aus dem Discounter zu vergleichen?

EK: „Handwerklich hergestellte Backprodukte (ganz gleich welcher Getreidesorte) lassen sich nie mit den Produkten aus den Bake-Off Stationen der Discounter vergleichen. Diesen Backwaren sind etliche chemische Hilfsmittel zugefügt, um zu gewährleisten, dass das Produkt mit immer gleichbleibender Qualität und Aussehen zum niedrigsten Preis produziert und dann angeboten werden kann. Unser konsequenter Verzicht auf Fertigmischungen, auf die Zugabe von technischen Enzymen (die bei Backwaren keiner Deklarationspflicht unterliegen und deren Zugabe – wovon auszugehen ist – somit auch nicht gekennzeichnet wird) oder auch auf Backhilfsmittel macht die Teige deutlich maschinenunfreundlicher und somit stecken in unseren Backwaren spürbar mehr echte Handgriffe und benötigtes Personal mit handwerklicher Erfahrung. Das merkt man natürlich im Preis, aber eben auch im Geschmack – und im gesundheitlichen Mehrwert des Produktes!“ 

Das Interview mit Bio-Bäckermeister Ernst Köhler führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury.

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