Dauerhaft am Ball bleiben

Osteologe Dr. Lothar Seefried über Muskelabbau im Alter

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„Und niemand weiß, wie weit seine Kräfte gehen, bis er es versucht hat“, orakelte schon der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe. Dr. Lothar Seefried, Leiter des Schwerpunkts Osteologie im König-Ludwig-Haus in Würzburg, äußerst sich da ähnlich: „Unsere Muskeln haben auch im hohen Alter noch die Fähigkeit, sich an Umgebungsbedingungen anzupassen. Während verschiedene Krankheiten, schlechte Ernährung und vor allem Immobilität einem Muskelabbau Vorschub leisten, kann man durch eine gesunde und körperlich aktive Lebensweise auch im höheren Alter seine Muskulatur noch sehr gut erhalten.“ Muskelschwund im Alter sei also keineswegs schicksalhaft, so der Mediziner mit Schwerpunkt Osteologie (griechisch: Knochenlehre) im Gespräch mit der Lebenslinie. Rund 600 Muskeln stützen und bewegen unseren Körper. Ohne sie geht es nicht.

Dr. Lothar Seefried ©privat

Bei Muskelabbau fängt der Körper irgendwann an zu „streiken“. Neben Beweglichkeit und Stabilität können auch Organfunktionen und vegetative Funktionen nachlassen. Muskelschwund beschreibt ganz allgemein den Abbau respektive den Verlust von Muskulatur. Dahinter stecke ein sehr breites Spektrum unterschiedlicher Erkrankungen, die man grob in drei Gruppen unterteilen könne, so Dr. Seefried. Es gäbe zum einen die genetisch bedingten Muskelerkrankungen (Muskeldystrophien), dann die, bei denen aufgrund gestörter Nervenimpulse das Nervensystem betroffen sei (neurogene Muskelatrophien), und dann die dritte Gruppe, die bedingt sei durch den normalen Alterungsprozess und Krankheiten. Da es sich bei dem Verlust an Muskulatur als Folge von Erkrankungen und Inaktivität im Alter um die größte Gruppe handelt, haben wir uns im Gespräch mit Dr. Seefried auf Kachexie, den Abbau von Körpergewicht und Muskulatur als Folge von Krankheit und auf Sarkopenie, den vorwiegend altersbedingten Verlust von Muskulatur konzentriert. Wenn man um die 30 ist, weist der Körper meist das Maximum an Muskelmasse auf, danach beginnt der altersbedingte physiologische Umbau des Körpers. Wenn man gegen den „Verfall“ nichts unternimmt, könnte laut dem Berufsverband deutscher Internisten¹ bis zum 80. Geburtstag die Hälfte der Muskelmasse verschwunden sein. Das ist ein schleichender Prozess, der nach der Devise funktioniert: „Use it or lose it“. Den Verlust an Muskulatur bemerke der Betroffene meist erst dann, wenn sich die Schwäche im Alltag bemerkbar mache, so Seefried, „etwa wenn man nicht mehr ohne Zuhilfenahme der Arme von einem Stuhl aufstehen kann, wenn man ein Konservenglas nicht mehr aufbekommt oder wenn eine Treppe, die man früher problemlos bewältigen konnte, plötzlich Schwierigkeiten bereitet!“

Da solche funktionellen Einschränkungen auch auf andere Erkrankungen wie etwa Arthrose hinweisen könnten, so der Experte, müssten zum eindeutigen Abklären etwa einer Sarkopenie gezielte Untersuchungen sowohl der Muskelmasse als auch der Muskelfunktionen erfolgen. Neben chronischen Erkrankungen sowie fehlender Aktivität im Alter sei vor allem die Ernährung eine Schraube an der man drehen könne, so Lothar Seefried: „Gerade bei älteren Patientinnen und Patienten ist häufig die Versorgung mit Eiweißbausteinen durch die tägliche Nahrungsaufnahme unzureichend. Wesentliche Voraussetzung für den Erhalt der Muskulatur sei körperliche Aktivität. Ob man dafür nun einen Trainingsanzug anziehe oder „Sport“ einfach in seinen Alltag einbaue, sei jeder und jedem selbst überlassen, so Seefried: Wichtig dabei sei, dauerhaft am Ball, sprich in Bewegung zu bleiben. „Vor diesem Hintergrund sollte man sich Aktivitäten suchen, an denen man Freude hat, idealerweise zusammen mit Gleichgesinnten. Betätigungen, die abwechslungsreich sind mit immer mal wieder neuen Herausforderungen.“ Eine gesunde, ausgewogene Ernährung und die Vermeidung von Risikofaktoren wie Rauchen oder zu viel Alkohol, verstehe sich dabei von selbst. „Und nachdem wir alle Muskulatur verlieren, wenn wir untätig sind, ist es nie zu früh und auch nie zu spät, damit anzufangen!“

Quelle:
¹www.internisten-im-netz.de/aktuelle-meldungen/aktuell/altersbedingter-muskelabbau-wird-oft-unterschaetzt.html

Das Interview mit Dr. Lothar Seefried, Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Osteologie im König-­Ludwig-Haus in Würzburg, führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury.

www.koenig-ludwig-haus.de

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