Blick zurück und in die Zukunft

Biografie-Arbeit macht die eigene Entwicklung transparent

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Da gibt es jene, die erst wägen, dann wagen. Andere handeln oft völlig unüberlegt. Wieder andere kommen vor lauter Überlegungen gar nicht ins Handeln. Das hat mit dem eigenen Wesen zu tun. Mit dem Charakter. Und mit der Biografie. Vielen Menschen ist das nicht bewusst. Weshalb sie sich selbst und ihre Reaktionen oft nicht verstehen. Biografie-Arbeit, sagt die Anthroposophin Dr. Michaela Glöckler, bietet die Chance, „das eigene Leben neu anzuschauen“. „Zusammen mit einem entwicklungserfahrenen Menschen, der sich in Biografie-Arbeit ausgebildet hat, blickt man zurück in die Kindheit und die Jugend bis hinein in das Alter, in dem man gegenwärtig gerade ist, sowie in die nähere Zukunft“, erläutert die Kinderärztin. Durch diesen Prozess werden laut Dr. Glöckler Fragen der eigenen Entwicklung ebenso bewusst wie Entwicklungslinien jener Menschen, mit denen man im Leben intensiver verbunden ist oder war. „Es wird aber auch der zeitliche Kontext deutlicher, in der sich die eigene Biografie realisiert“, so die ehemalige Leiterin der Medizinischen Sektion am Schweizer Goetheanum. Das betreffe die Familienkultur, mögliche Traditionen oder auch das politische System. Die eigene Biografie hat schließlich mit dem geographischen Ort zu tun, an dem man aufwuchs, sowie mit dem sozialen Umfeld und den wirtschaftlichen Verhältnissen. Biografie-Arbeit, die all dies einbezieht, berge laut Dr. Glöckler die Chance, unklare Gefühle mit Bezug auf Situationen, insbesondere auf menschliche Beziehungen, zu klären und die damit verbundenen Erfahrungen sinnstiftend zu verarbeiten. Biografie-Arbeit sei der Medizinerin zufolge vor allem in der Pflege wichtig: „Je mehr man als pflegender Mensch von der Biografie beispielsweise eines demenziell Erkrankten weiß, umso besser kann man Kontakt aufnehmen.“ Gerade demenziell veränderte Menschen kennen zum Beispiel oft noch Lieder aus ihrer Kindheit oder aus der Zeit im Musikverein. „Lässt man sie in einem Senior:innenchor mitsingen oder in einem kleinen Orchester mitspielen, sind sie ganz anders anwesend und freudig am Leben beteiligt“, sagt die Ärztin. Die gebürtige Stuttgarterin würde sich wünschen, dass alle Pflegenden eine gründliche Kenntnis von der menschlichen Entwicklung besäßen. Im Kreis Main-Spessart macht sich Michaela Monno-Linde von der Fachberatung für pflegende Angehörige der Caritas für Biografie-Arbeit in der ambulanten Pflege stark. Die Pflegefachkraft legt großen Wert darauf, möglichst viel über die Biografie der von ihr unterstützten Senior:innen herauszufinden. Geht sie zu Senior:innen nach Hause, lässt sie zum Beispiel das Flair der Wohnung bewusst auf sich wirken. „Ich gehe mit offenen Augen durch die Räume und sehe, ob es zum Beispiel sehr aufgeräumt ist oder ob Chaos herrscht“, erläutert sie. Sieht es ein bisschen aus wie auf einem Schlachtfeld, kann dies von akuter Überforderung zeugen. Das hat Monno-Linde im Gespräch mit Senior:innen im Hinterkopf: Was überfordert sie:ihn im Moment womöglich? Sind es negative Gedanken? Oder handfeste Probleme? Oder war sie:er einfach schon immer jemand, die:der im „kreativen Chaos“ lebte?

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