Aus einer Mücke (k)einen Elefanten machen

Ein Interview mit dem Biologie-Professor Markus Engstler

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Mithilfe von statistischen Kartierungsverfahren konnte bereits gezeigt werden, dass menschliche Bewegungsmuster durch Globalisierung und stetig steigende Mobilität sowie den fortschreitenden Klimawandel und die damit einhergehenden höheren Temperaturen in der westlichen Welt die Ausbreitung von Stechmücken forcieren, die auch bei uns tropische Fieberkrankheiten verbreiten. Inwiefern diese Entwicklung fortschreitet und welche Gefahren sie mit sich bringt, darüber hat sich die Lebenslinie mit dem Leiter des Lehrstuhls für Zoologie I am Biozentrum der Universität Würzburg und dem Mitglied des Afrikazentrums Prof. Markus Engstler unterhalten.

Professor Engstler:@privat

Lebenslinie (LL): Welche Mücken können welche Krankheiten übertragen?
Professor Markus Engstler (ME): „Zu den durch Mücken übertragenen Erkrankungen gehören Virus-Infektionen wie das Rift-Valley-Fieber (Phleboviren), das West-Nil-Fieber (West-Nil-Virus), St.-Louis-Enzephalitis (Saint-Louis-Enzephalitis-Virus), Pferde-Enzephalomyelitis (Flaviviren) und La-Crosse-Enzephalitis (La-Crosse-Virus). Aber auch durch Protozoen (Urtierchen, die als Einzelzellen leben) oder durch Würmer hervorgerufene Krankheiten wie Malaria oder Filariose. Neben den Malariamücken (Anopheles), von denen es in den globalen Tropen viele unterschiedliche Arten gibt, sind es vor allem Aedes aegypti (Gelbfiebermücke) und Aedes albopictus (Tigermücke), die Krankheitserreger übertragen. Die Bevölkerung, die durch von Mücken übertragene Krankheiten gefährdet ist – darunter Dengue-Fieber, Gelbfieber, Chikungunya und Zika – wächst. Die Verbreitung dieser Mücken wird sowohl durch menschliche Bewegungen als auch durch das Vorhandensein eines geeigneten Klimas bestimmt. Daher werden die Arten auch in Europa stabile Populationen ausbilden.“

LL: Ist jeder Mückenstich in allen tropischen Ländern gefährlich? Sprich, braucht es bei einer Reise immer (zu jeder Tageszeit) und überall (in allen Landesteilen) Schutzmaßnahmen?
ME: „Ja, potenziell kann jeder Mückenstich zur Übertragung einer Infektion führen, allerdings gibt es für eine Reihe übertragener Viruskrankheiten (wie etwa Gelbfieber) die Möglichkeit einer Impfung. Die wird von vielen tropischen Ländern auch verpflichtend bei Einreise gefordert. Das Auswärtige Amt gibt ständig aktualisierte Statusberichte für die Infektionsgefahren in den Ländern der Tropen heraus. Malaria beispielsweise ist in Kenias Hauptstadt Nairobi kein Problem, weil die Stadt schlicht zu hoch liegt. In der wenige Stunden entfernten kenianischen Hafenstadt Mombasa sollte man allerdings Malariaprophylaxe vornehmen.“

LL: Apropos Prophylaxe … Wie kann man möglichst vermeiden, dass man gestochen wird?
ME: „Generell gilt, dass in den Abendstunden eine mückensichere Kleidung angebracht ist. Dazu gehören Shorts und T-Shirt sicher nicht. Zudem kennen wir alle die Mückenabwehrsprays, die hilfreich sein können. Mückennetze sind ausgesprochen wirksam. Bei Inlandsflügen in Afrika wird oft die ganze Kabine noch auf dem Rollfeld mit Insektiziden behandelt. Stiche ganz zu vermeiden, wird aber wohl kaum möglich sein.“

LL: „Wie kann es sein, dass diese Arboviren, die zum Beispiel West-Nil-, Dengue- oder Chikungunya-Fieber verursachen, in Mücken und Menschen überleben – zwei ganz unterschiedlichen Wirtssystemen?
ME: „Das ist eine spannende Frage. Bei Viren ist das eigentlich gar nicht so schwer zu verstehen, weil Viren sehr einfach gebaut und erstaunlich hart im Nehmen sind. Bei Parasiten wie Plasmodium (Malaria) oder Trypanosomen (Schlafkrankheit), die viel 
 komplexere Lebensformen darstellen, hat die Evolution einen Trick angewandt: die Erreger entwickeln in Mensch und Insekt ganz unterschiedliche Lebensstadien, die perfekt an die diversen Mikroumwelten im Wirt oder dem Vektor angepasst sind.“

LL: Das Centrum für Reisemedizin (CRM) meldet immer mal wieder vereinzelte Chikungunya-Fälle in Spanien. Was machen wir, wenn der Klimawandel tropische Krankheiten auch nach Deutschland bringt?
ME: „Das wird mit großer Wahrscheinlichkeit passieren. Noch sind die Fälle sporadisch, aber die Erreger sind sehr anpassungsfähig. Mit der Leishmaniose etwa tritt erstmals eine wichtige vernachlässigte Tropenerkrankung in Europa auf. Gegen diese Krankheit wird man wahrscheinlich nie impfen können, gegen viele virale Erreger wird das aber möglich sein. Die Menschen müssen schlicht verstehen, dass die Impfung wohl die größte Errungenschaft unserer Zeit ist.“

LL: Mückennetze und Insektizide sind uralte Abwehrstrategien. Bei Malaria gibt es Versuche mit genetisch veränderten Mücken, die Ausbreitung zu stoppen. Wären solche Strategien auch für andere durch Mücken übertragbare Krankheiten sinnvoll?
ME: „Das sehe ich mit gemischten Gefühlen. Natürlich ist es heute technisch möglich mit Genscheren auch Tiere zu manipulieren, die bislang genetisch nicht zugänglich waren. Das Problem ist, dass wir heute noch nicht voraussagen können, was für einen Einfluss solche (irreversiblen) Experimente auf die labilen Ökosysteme und die Biodiversität haben werden. Mückennetze, Impfungen und die Frage, ob es immer Fernreisen in die Tropen sein müssen, können sehr klare Empfehlungen sein.“

LL: Wann muss man aus einer Mücke einen Elefanten machen und wann nicht?
ME: „Sie können an einem Bienenstich sterben, wenn sie Allergiker sind. Sie können auch an einem ganz normalen Mückenstich sterben, wenn sie dem Juckreiz nicht widerstehen können, die Schwellung aufkratzen und sie zum Beispiel keinen aktuellen Impfschutz gegen Tetanus haben. Meine Empfehlung: Reisen Sie nicht in Gebiete, in denen Krankheiten endemisch sind, gegen die es weder Prophylaxe noch Impfstoff gibt. Wer wäre schon zu Ebola-Zeiten nach Westafrika geflogen? Covid-19 hat gezeigt, wie schnell Impfstoffe entwickelt werden können, wenn es um uns geht und nicht um die Bevölkerung in tropischen Armutsländern. So gesehen sollten wir aus keiner Mücke einen Elefanten machen, sondern vielmehr die Gesundheitssysteme in den ärmsten Ländern stärken. Dort leben Menschen eng mit Tieren zusammen sowie es bei uns vor gar nicht langer Zeit auch der Fall war. Viele Infektionen sind Zoonosen, also sind von Tieren auf den Menschen übergesprungen. Dazu gehören Tuberkulose, Ebola, Influenza, aber auch Corona. Den Menschen der Tropen im Kampf gegen Infektionen zu helfen, ist aktive Pandemieprävention – und sollte entsprechend in unserem ureigenen Interesse sein.”

Das Interview mit dem Leiter des Lehrstuhls für Zoologie I am Biozentrum der Universität Würzburg und dem Mit- glied des Afrikazentrums Prof. Dr. Markus Engstler führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury

www.biozentrum.uni-wuerzburg.de

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