„Krieg, Vertreibung, Tod, Missbrauch, Gewalt in der Partnerschaft“, Annette Noffz, Stiftungsdirektorin des Bürgerspitals, nennt nur einige von vielen Ereignissen, die Menschen aus der Bahn werfen können. „Gerade Senior:innen haben viele Dinge erlebt, die schwer zu verarbeiten sind und traumatischen Charakter haben“, erklärt sie Anfang Dezember anlässlich des Besuchs von Gesundheitsminister Klaus Holetschek in Würzburg. Oft seien diese Ereignisse nicht verarbeitet worden. Unterstützung habe es nicht gegeben. „Das wird heute in den Einrichtungen sichtbar“, so Noffz. Sie verweist in diesem Zusammenhang unter anderem auf die aktuelle Lage in der Ukraine. Diese lasse alte Wunden wieder an die Oberfläche treten. Wunden, die teils viele Jahre tief vergraben waren. Wie dringlich hier geholfen werden muss, ist für die Stiftung Bürgerspital bereits seit längerem klar. Es benötigt Biographiearbeit und vor allem therapeutische Unterstützung – für die Betroffenen, ihre Angerhörigen, aber auch die Mitarbeiter:innen in den Einrichtungen.
Das Ziel: Die Lebensqualität aller verbessern. Am 1. November wurde das entsprechende Pilotprojekt der Stiftung Bürgerspital angestoßen. In Kooperation mit der Uniklinik Würzburg soll Senior:innen in diesem Rahmen die Möglichkeit geboten werden, Traumata aus ihrer Vergangenheit aufzuarbeiten. Das Besondere: Es handelt sich um ein Projekt mit wissenschaftlicher Begleitung ganz nah an der Realität. Unter der Ägide von Professor Dr. Heiner Vogel, Leiter des Arbeitsbereichs Medizinische Psychologie und Psychotherapie im Zentrum für psychische Gesundheit (ZEP) an der Uniklinik Würzburg, wird sogenannte Versorungsforschung betrieben. Das bayerische Gesundheitsministerium ist überzeugt von diesem „Leuchtturm-Projekt“, das nach Ansicht von Klaus Holetschek auch als „Blaupause“ für andere diesen könnte. Es fördert dieses mit 400.000 Euro, die vom Minister nun persönlich übergeben wurden. Wie dringend ein solches Projekt geboten ist, schildert auch Elisabeth Richter, Leiterin der Abteilung Senioreneinrichtungen Bürgerspital. Pflegende und Angehörige würden bemerken, dass es den Senior:innen nicht gut gehe, etwas in ihnen arbeite. Doch an die Menschen heranzukommen, das sei schwierig. Oftmals ist guter Rat teuer. In manchen Fällen findet ein Therapietier Zugang zum Betroffenen. In anderen Fällen funktioniert das gar nicht.
Aufgeben ist jedoch keine Option. Elisabeth Richter jedenfalls wird nicht müde zu betonen: „Es lohnt sich, egal wie alt man ist, sich um die Psyche zu kümmern.“ Professor Dr. Heiner Vogel schätzt die Situation ähnlich ein. Ihm zufolge werde es immer deutlicher, dass viele Alte leiden würden. Bisher gebe es bundesweit allerdings nur wenige Projekte in diesem Bereich und diese seien mehr auf Einzeltherapie ausgerichtet und nicht auf ganze Institutionen wie hier in Würzburg. Mit „im Boot“ sind auch zwei junge Frauen – die beiden Psychologinnen Sarah Niemann für das Bürgerspital sowie Julia Majewski für die wissenschaftliche Begleitung durch die Uniklinik. Sie bilden das Team des neuen psychosozialen Dienstes und werden sich zunächst einen Überblick über die Senior:innen der Stiftung Bürgerspital verschaffen. In einem zweiten Schritt sollen sie dann versuchen, Betroffenen zu helfen. Und wie? Das kann durch eine Therapie, durch Gespräche, aber auch durch das Zusammenbringen mit Menschen, die Ähnliches erlebt haben, geschehen. „Die Dinge gehen nur gemeinsam“, betont auch Annette Noffz am Ende der Auftaktveranstaltung. Das Pilotprojekt ist auf zweieinhalb Jahre angelegt. Danach soll eine Evaluierung und ein Austausch mit anderen Experten erfolgen. Fest steht aber schon jetzt: Von den Ergebnissen soll letztlich nicht nur Würzburg profitieren…