advocate, enable, mediate

Das Geriatriezentrum Würzburg im Bürgerspital ist für viele alte Menschen eine Zukunft stiftende Einrichtung

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„In der ambulanten und mobilen Reha versuchen wir ohne lange Wartezeiten auszukommen. Im stationären Bereich kann es schon bis zu zwei Wochen dauern, bis ein Bett frei wird“, so Dr. Schwab. „Einmal die Woche sprechen wir im Team alle Patienten durch. Das interdisziplinäre Arbeiten ermöglicht stetig an den Therapie-Stellschrauben zu drehen bis es schließlich passt“, so Fachärztin für Psychiatrie Dr. Alexandra Herr. Foto: Susanna Khoury

„Nicht genug dem Schwachen aufzuhelfen, auch stützen muss man ihn“, umriss der englische Dramatiker William Shakespeare einen Leitgedanken für Gesellschaften, der heute vor allem in der Altersmedizin umgesetzt wird.

„Es bedarf der Fürsprache für ältere oder gar hochbetagte Menschen. Hier ist die ganze Gesellschaft gefordert“, betont Geriater Dr. Michael Schwab, der aus diesem Grund gerne ein zusätzliches Amt, nämlich stellvertretender Vorsitzender der Seniorenvertretung der Stadt Würzburg begleitet. Hier macht er sich stark für aufsuchende Altenberatung, die sich mit einer halben Stelle bereits etabliert hat, und engagiert sich in Qualitätszirkeln für Hausärzte, um geriatrische Rehabilitation (Reha) in der Praxis zu verankern.

Obwohl es seit zehn Jahren einen Rechtsanspruch auf geriatrische Reha gibt, bedarf es immer noch der Aufklärung – bei Ärzten, Kassen und Patienten.

Lebenslinie hat sich mit Dr. Michael Schwab, Chefarzt des Geriatriezentrums Würzburg im Bürgerspital, und Dr. Alexandra Herr, Leiterin der neurogerontopsychiatrischen Tagesklinik der Universität im Geriatriezentrum, unterhalten, um das Angebot, das beide für schwache, kranke, alte Menschen vorhalten, näher zu beleuchten – ein Angebot, das, laut dem Altersmediziner, in dieser Form in Deutschland einzigartig sei.

Fächerübergreifendes Denken stünde der Medizin generell gut an, in der Geriatrie aber brauche es unbedingt den ganzen „Werkzeugkasten“, um multimorbide Krankheitsbilder entschlüsseln und heilen zu können. „Wenn man nur einen Hammer hat, sieht alles wie ein Nagel aus“, konstatiert Dr. Schwab und freut sich über die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Dr. Herr im Geriatriezentrum.

Mit der Akutklinik der Uni Würzburg mit neurogerontopsychiatrischer Tagesklinik sowie stationärem Angebot, kann das Zentrum für Altersmedizin einen Fünfklang aufweisen. Ergänzend ambulante und stationäre Reha, sowie seit Anfang dieses Jahres auch mobile Rehabilitation, die sich um alte kranke Menschen vor Ort zuhause, im Seniorenstift oder Pflegeheim kümmert. Zusammen mit den Praxen für Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie, die an das Geriatriezentrum angeschlossen sind, und den Kursen der GesundheitsAkademie 50plus sei das Angebot der Hybrideinrichtung zukunftsweisend und für alte Menschen zukunftsstiftend, so Dr. Herr, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie und Leiterin der neurogerontopsychiatrischen Tagesklinik.

Ob solche Einrichtungen, die angesichts des demografischen Wandels dringend geboten wären, wirklich Schule machen, bleibt dahingestellt: „Am Ende ist es dem Kampf um die Ressourcen geschuldet, dass die Angebotsvielfalt heruntergefahren wird. Und das geht dann zu Lasten der Qualität der Angebote in der Altersmedizin“, betont Schwab.

Der dringende Wunsch älterer kranker Menschen sei es, sich ambulant behandeln lassen zu können. Dem müsse Rechnung getragen werden. Vor allem ältere Menschen mit schweren Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen scheuten vielfach den Gang zum Arzt und erst Recht in eine Einrichtung, da „psychisch krank“ immer noch als Stigma empfunden werde, weiß Dr. Herr.

Eine neurogerontopsychiatrische Tagesklinik, die im Gertriatriezentrum Würzburg angesiedelt ist, mache die Schwelle niedrig, so die Fachärztin. 18 Plätze gibt es für ältere Menschen mit psychischen und neurologischen Leiden von Depression über Angststörung bis Parkinson.

„Da die meisten Älteren zudem internistische Erkrankungen haben, wie etwa Diabetes oder Bluthochdruck, ist die enge Zusammenarbeit und der wöchentliche Austausch mit Dr. Schwab ideal“, sagt die Psychiaterin und Neurologin. Und die beiden engagierten Mediziner erleben täglich, dass das Konzept aufgeht: „Der Mensch ist ein komplexes, oftmals verletzliches und von vielen Faktoren abhängiges, soziales Wesen“, sagt Dr. Schwab.

Die Vorstellung, dass durch chemische Substanzen oder durch Bewegung eines Gelenkes allein das Grundproblem beseitigt werde, sei naiv. „Wenn ich aber nach einem Plan, unter ständiger Überprüfung des Vorgehens, unter Einsatz der geeigneten Mittel, etwas ausreichend intensiv und gut behandle, habe ich Erfolg“, ist der Altersmediziner überzeugt. Das durch und durch strukturierte Konzept heilt Menschen … die einen früher, die anderen später.

Von drei Wochen (nach einer Fraktur etwa) bis zu drei Monaten (nach einem Schlaganfall) kann der Aufenthalt im Geriatriezentrum dauern. Bei psychischen Leiden werden in der Regel sechs Wochen veranschlagt. Die Therapie sei so angelegt, dass sie nachhaltig wirke, so Herr.

Zuhause angekommen, verfalle man nicht wieder in alte Muster, sondern sei ertüchtigt, den Alltag selbst zu bestreiten. Und darum soll es in der Geriatrie gehen, frei nach Maria Montessori, Menschen helfen, etwas wieder selbst tun zu können. Nach eigenen Auswertungen sei die Patientenzufriedenheit mit der Behandlung sehr hoch, resümiert Dr. Herr.

Bei 18 Plätzen (12 für Menschen mit Depression und Angst und sechs für Parkinson-Patienten) beträgt die Wartezeit für einen Platz zwischen zwei und vier Wochen.

Ein Arzt habe drei Aufgaben, so Michael Schwab: Er müsse Menschen ertüchtigen, gesund zu bleiben oder zu werden (enable). Er müsse Advokat sein, das bedeute, er müsse für die einstehen, die es selbst nicht (mehr) können, wie alte kranke Menschen (advocate). Und er müsse sich mit anderen vernetzen, um gut und richtig helfen zu können (mediate). „Advocacy, Enabling, Mediating“ – das waren auch die Schlagworte der ersten internationalen Konferenz für Gesundheitsförderung der WHO 1986 im kanadischen Ottawa. Damit wurde ein gesundheitspolitisches Leitbild festgeschrieben, das Krankheit vermeiden und Gesundheit fördern soll.

Jeder Mensch ist verschieden und keine Krankheit gleicht der anderen, vor allem nicht im Alter. „One size fits all“ kann daher in der Geriatrie nicht passen. Man brauche die Vielfalt der geriatrischen Angebote, um individuell und bedarfsgerecht behandeln zu können.

Aber es sei schon richtig: „Je mehr man ambulant machen kann, desto näher ist man am Menschen, desto näher ist man am Leben“, schließt der Chefarzt der Geriatrie Würzburg mit einem Plädoyer für das
Individuum Mensch.

* Über einen Zeitraum von zwei Jahren wurde anonymisiert die Patientenzufriedenheit mittels des ZUF-8-Fragebogen gemessen. Der Mittelwert lag dabei bei 30 Punkten von maximal 32 erreichbaren Punkten, was einer sehr hohen Zufriedenheit entspricht.

Das Interview mit Dr. Alexandra Herr, Fachärztin für Psychiatrie, Leiterin der neurogerontopsychiatrischen Tagesklinik der Universität im Geriatriezentrum Würzburg im Bürgerspital, und Dr. Michael Schwab, Altersmediziner, Chefarzt des Geriatriezentrums Würzburg im Bürgerspital, führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury.

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