Keine verkleinerten Erwachsenen!

Kleine Patienten brauchen andere Therapien und kindspezifische Operationen, sagt Kinderchirurg Prof. Dr. Thomas Meyer

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Prof. Dr. Thomas Meyer ist Leiter der Abteilung für Kinderchirurgie im Zentrum für Operative Medizin am Universitätsklinikum Würzburg. Foto: UKW

„Kinder sind keine verkleinerte Ausgabe der Erwachsenen“, konstatierte der Schriftsteller Charles Dickens schon vor rund 100 Jahren. Es brauche in der Medizin eigene Arzneimittel, manche Krankheiten kämen nur bei Kindern vor, andere träten in anderer Form auf.

Erst relativ spät erkannte man das auch in der Chirurgie – und so entwickelte sich die Kinderchirurgie erst nach 1945 zu einer eigenen Disziplin.

Zwei Punkte kamen damals laut Professor Dr. Thomas Meyer zusammen: Man hatte festgestellt, dass es Spezialisten für Kinder braucht. Und Krankheitsbilder hatten sich verändert.

Meyer weiß, wovon er spricht, er leitet als Professor für Kinderchirurgie die Abteilung für Kinderchirurgie im Zentrum für Operative Medizin am Universitätsklinikum Würzburg. Vor 1945 sei es in der Kinderchirurgie eher um orthopädische Fragestellungen gegangen, berichtet Professor Meyer. Dann rückten – dank verbesserter Intensivmedizin und pränataler Diagnostik – Themen wie angeborene Fehlbildungen in den Blick.

Kinder, die bis dahin schlicht nicht überlebt hätten, bekamen nun eine Chance. Noch in den Kinderschuhen steckt bislang die Fetalchirurgie, das heißt, Operationen am ungeborenen Kind. Bislang geschieht dies nur bei extremen Fehlbildungen.

Viele Fehlbildungen lassen sich aber laut dem Kinderchirurgen sehr gut in den ersten Lebensminuten und -stunden therapieren. Beispiele hierfür wären: Wenn ein Stück der Speiseröhre (Ösophagusatresie), ein Stück vom Dünn- oder Dickdarm (Dünn-bzw. Dickdarmatresie) fehlen, der Anus nicht angelegt ist (Analatresie) oder das Kind mit einem „offenen“ Bauch (Omphalocele oder Gastrochisis) auf die Welt kommt. Doch werden längst nicht nur Säuglinge in der Kinderchirurgie behandelt.

Die Mediziner befassen sich mit kinderchirurgischen, kinderurologischen und kindertraumatologischen Erkrankungen, die zwischen der ersten Lebenssekunde bis zum 16. Lebensjahr auftreten. „Kinder brauchen andere Therapien und Kinder haben andere Krankheiten“, sagt Thomas Meyer.

Ein Beispiel: Bei der nekrotisierenden Enterokolitis beim Frühgeborenen entzündet sich der Darm und ein Stück des Darms geht unter. Bei einem Erwachsenen würde der Chirurg den Darm reserzieren, das heißt entfernen. Bei Kindern dagegen wird laut Meyer nur ein künstlicher Darmausgang angelegt und das Organ wird erhalten, weil man weiß, dass sich der kindliche Körper besser erholt. Das liegt auch daran, dass Kinder selten Begleiterkrankungen wie zum Beispiel Diabetes oder Bluthochdruck mitbringen – Risikofaktoren, die entfallen.

„Medikamente sind anders anzusetzen als bei Erwachsenen. Und man muss wissen, wann man operieren muss – und wann nicht“, sagt Professor Meyer. Oft können dem Kind Narkose, Operation und zusätzliche Schmerzen erspart bleiben, weil bestimmte Frakturen altersbedingt ein so genanntes Remodelling-Potenzial haben.

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