„Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov gehen rund ein Viertel der Deutschen seit Beginn der Corona-Pandemie öfter Spazieren als vor der Krise“, so das Statistikportal Statista¹. Einer, der sich in Deutschland seit fast drei Jahrzehnten mit diesem Thema befasst, ist Bertram Weisshaar. Er ist Spaziergangforscher. Der studierte Landschaftsplaner aus Villingen-Schwenningen berät inzwischen auch Kommunalpolitiker:innen bei Fragen zu fußgängerfreundlicher Städteplanung. Doch nicht nur Entscheider profitieren von seinem Wissen. Er ist überzeugt: Spazierengehen kann viel für jeden Einzelnen tun. „In der Spaziergangforschung (Promenadologie) geht es darum, wie wir Stadt und Landschaft als Fußgänger wahrnehmen“, erklärt Weisshaar. Und gerade das habe sich in der Pandemie verändert. Wir würden die Bedeutung unserer direkten Wohnumgebung wieder mehr wahrnehmen.
„Eine der wichtigsten Annahmen in der Spaziergangforschung besteht darin, dass die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen, das Verständnis und das Bild einer Stadt bedingt.“ Zu Fuß können Wege erforscht werden, die mit Fahrzeugen verschlossen blieben. Die Aufmerksamkeit könne dem Weg gelten, kein Verkehrsgeschehen lenke ab. Zudem ließe die Geschwindigkeit in einem Fahrzeug einzelne Streckenabschnitte nur noch als abstrahierte Wahrnehmung zurück. „Das Gehen führt am dichtesten an die Welt heran“, so die Überzeugung des Autors von „Einfach losgehen“. Und das sei am Ende nicht nur für Planende am Schreibtisch relevant, die so „Wissen über das Gebiet erlangen, zu dem sie arbeiten“. Gehen sei auch ein wichtiges Instrument bei der Bürger:innenbeteiligung. „Es macht einen Unterschied, ob man sich in dem Quartier, um das es gerade geht, auf der Straße trifft oder nur eine PowerPoint-Präsentation anschaut.“ Zu Fuß unterwegs sein – das fördert die Begegnung auf Augenhöhe. Und darüber hinaus? „Die Weltgesundheitsorganisation² und auch die Krankenkassen sagen seit Jahren, dass man täglich etwa 10.000 Schritte gehen sollte. Das sei für so manche Zivilisationskrankheit wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder psychische Erkrankungen vorbeugend, heißt es.“
Jeder Atemzug scheint von Nutzen: „Beim Gehen trainieren wir unsere Lunge und der Kreislauf kommt in Schwung. Mehr Sauerstoff kommt ins Blut und so wird auch das Gehirn besser durchblutet“, sagt der Spaziergangforscher. Es passiere viel, ohne, dass wir uns wirklich anstrengen würden. „Die Füße finden allein ihren Halt, machen Schritte. Dadurch können wir unseren Gedanken freien Lauf lassen und Tagträumen“, preist Weisshaar das Spazierengehen als eine Möglichkeit an, das zu verarbeiten, was der vollgepackte Alltag uns auf die Schultern legt. Es entstehen Landschaften im Kopf. „Das Spazierengehen gibt neue Impulse, die einen selbst auf andere Ideen bringen können.“ Die Umgebung und die Dauer, in der man unterwegs sei, spielten hier eine entscheidende Rolle. „Es ist besser, seine Neugier auf die ganze Welt zu richten und nicht nur auf Gegenden, die man gut kennt. Je länger wir Spazierengehen, desto eher entsteht wieder ein Draht zur Natur.“ Unsere Sinne würden ganz direkt angesprochen. „Es besteht der begründete Verdacht, dass das etwas mit uns tut, auch wenn wir es oft nicht bewusst registrieren. Es gelingt besser, mit Sorgen und Problemen umzugehen.“ Wir wechseln die Perspektive, kommen auf andere Gedanken und das tut gut!
Quellen:
¹de.statista.com/statistik/daten/studie/1232454/umfrage/haeufigkeit-des-spazierengehens-seit-beginn-der-corona-krise-in-deutschland,
²www.who.int/dietphysicalactivity/publications/pacific_pa_guidelines.pdf