Selbstfürsorge, die zu kurz kommt

Diplom-Psychologe Dr. Philippe T. Pereira über Mental Load

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Am 1. März fand der „Equal Care Day 2025“ statt. Der Aktionstag erinnert an „die mangelnde Wertschätzung und unfaire Verteilung von Care-Arbeit“. Mit ihr einhergeht auch Mental Load1, also die „Last der alltäglichen, unsichtbaren Verantwortung für das Organisieren von Haushalt und Familie im Privaten, das Koordinieren und Vermitteln in Teams im beruflichen Kontext sowie die Beziehungspflege und das Auffangen der Bedürfnisse und Befindlichkeiten aller Beteiligten in beiden Bereichen“. Für den Psychologischen Psychotherapeuten und Leiter des Psychologischen Dienstes am Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss Werneck, Dr. Philippe T. Pereira, sei das Problem jedoch nicht nur Mental Load. „Unser Gehirn kann theoretisch sehr gut parallele Aufgaben bewältigen“, sagt er. Es dürfe aber nicht außer Acht gelassen werden, dass heutzutage tatsächlich eine Menge auf uns hereinströme. Viele mentale und emotionale Probleme entstünden durch „Verstrickungen“, die sich im Alltag und in der Partnerschaft ergeben. „Es kann schwer sein, alles unter einen Hut zu bekommen“, betont er gerade mit Blick auf Menschen, die nicht in soliden Partnerschaften leben oder mit wenigen finanziellen Ressourcen auskommen müssen. Im Fokus steht für den Experten daher ein weiterer wichtiger Aspekt: die „Unterlassung, sich gut abzugrenzen“ oder „zu viel Verantwortung zu übernehmen, weil man glaubt, dafür auch noch verantwortlich zu sein“. Die Folge: Selbstfürsorge komme zu kurz. Eine Auszeit werde nicht eingefordert. Alles werde als „zu viel“ und „unfair verteilt“ erlebt. Ein Beispiel sei etwa das subjektive Gefühl, der Partner bzw. die Partnerin erledige zu wenig im gemeinsamen Haushalt. „Das ist nicht Mental Load, sondern die Erfahrung, dass es ungerecht zugeht.“ Jede zusätzliche Tätigkeit erhöhe dieses Unrechtsbewusstsein und führe zu weiterem Stress. Es sei daher wichtig zu erkennen, wie man mit Verantwortung, mit Grenzen und mit der eigenen Selbstfürsorge umgeht. Gelinge hier die Balance, sei auch das Gehirn in der Lage, relativ viel zu schaffen, so der Familienvater. Nimmt das subjektiv empfundene „zu viel“ aber überhand, gebe es Frühwarnsymptome. „In der Regel ist es ein Stress- und Überforderungserleben, Gereiztheit, Lustlosigkeit, Schlafstörungen, einfach eine Anspannung, ein gewisser Leidensdruck, bei dem man merkt: Irgendwie bin ich damit nicht zufrieden“, erklärt Dr. Pereira. Meistens werde das überhört, übergangen oder man glaube, dass es schon wieder vorbei geht. Auch Suchtneigungen könnten in dieser Phase angeheizt werden. Nicht wenige würden in einer solchen Situation auf „Hilfe von außen“ hoffen, anstatt selbst die Verantwortung zu übernehmen. Dadurch ändere sich aber meistens nichts. Wird der Bogen schließlich „überspannt“, könne das zu schlimmeren Störungen wie Burnout, Depression, Schmerz- oder psychosomatischen Störungen führen“. Dr. Pereira zufolge sei es daher „essenziell“, „ein Bewusstsein für eigene Gefühle zu schaffen“. Es gelte, die eigenen Gefühle wieder zu benennen, Grenzen wieder zu erkennen respektive das überhaupt zu erlernen. Gelingt es dann, einen Mangel oder ein Bedürfnis zu interpretieren und auch anzusprechen, sei das eine „Meisterleistung“. „Schafft man das nicht im Kontext der Beziehung, könnte man sich auch Hilfe suchen, zum Beispiel bei Paartherapeuten oder im Rahmen von Angehörigengesprächen mit einer neutralen dritten Person“, so der Experte. Der Grund: Wird das den Betroffenen selbst überlassen, sei das häufig schon eine Überforderung. Zu groß seien oftmals die Verstrickungen und die Gefahr, sich misszuverstehen. In jedem Fall sei das Aufbrechen bestehender Dynamiken ein längerer Prozess. Dr. Pereira erinnert in diesem Zusammenhang an so manche Gepflogenheit aus seiner Heimat Brasilien. Dort sei es zum Beispiel für Menschen, die sich das leisten könnten, viel selbstverständlicher, Hilfe im Haushalt in Anspruch zu nehmen. „Das schafft Freiräume, in denen man sich um die wesentlichen Dinge kümmern kann“, sagt er. In Deutschland sei diese Mentalität noch nicht sehr weit verbreitet. Vielmehr herrsche oftmals der Gedanke vor, alles alleine schaffen zu müssen. „Ich glaube, wir machen es uns unnötig schwer und haben vielleicht auch ein Mentalitätsproblem.“ Brauchen wir also wieder mehr Leichtigkeit in unserem Leben? Dr. Pereira möchte es anders formulieren. Denn Leichtigkeit bedeutet für ihn nicht „alle Fünf gerade sein lassen“: „Wir sollten die richtigen Dinge tun, uns und unsere Partnerschaften wieder ernst nehmen und uns nicht darauf verlassen, dass Traditionen alles regeln. Jeder Einzelne hat Verantwortung und muss seinen Beitrag leisten.“ Am Ende könne genau diese Wertschätzung und Selbstliebe Konflikte und Mental Load reduzieren und in der Konsequenz zu mehr Leichtigkeit im Leben führen.

Quelle: 1 https://equalcareday.org/mental-load

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