Professor Heribert Prantl hat in seinem Vortrag im Universitätsklinikum Würzburg (UKW) ein flammendes Plädoyer für mehr Menschlichkeit, Zeit, Empathie und Fürsorge in der Medizin gehalten. Im Gespräch mit PD Dr. Tim von Oertzen zäumen wir das Pferd nun von der anderen Seite auf, und lassen den Ärztlichen Direktor des UKW zu Wort kommen, der sowohl die Versorgungsqualität einer ganzen Region, als auch das Wohl der Patientinnen und Patienten sowie die Kosten im Blick haben muss. „Ich kann teilweise die Ansichten Heribert Prantls nachempfinden, anderes sehe ich etwas differenzierter“, sagt der Facharzt für Neurologie, der seit einem Jahr die Geschicke des UKW lenkt. „Ich persönlich halte in ärztlichem Umgang und in der Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten das Gespräch für ganz wichtig. Und auch ich sehe, dass in den derzeitigen Finanzierungen ein Gespräch nicht entsprechend wertgeschätzt wird. Das muss sich ändern, ganz klar! Auf der anderen Seite sehe er aber die Realität, und sehe Medizin nicht losgelöst von ökonomischen Zwängen. Diese bestehen. Wir werden Behandlungen bezahlen müssen und wir haben ein System, in dem wir die Last auf alle Schultern verteilen. Jeder zahlt in die Krankenversicherung ein und dadurch können wir teure Behandlungen bei Einzelnen machen, die man sich, wenn man alles selber zahlen müsste, beileibe nicht leisten könnte. Insofern haben wir eine gesellschaftliche Verantwortung. Und dann zu sagen, wir machen Medizin ohne ökonomische Zwänge, ist die falsche Botschaft“, so von Oertzen. „Es ist nicht immer alles Gold, aber wir klagen auf sehr hohem Niveau“, räumt der Vorstandsvorsitzende der größten Klinik Unterfrankens ein. „Wenn wir uns das im europäischen Vergleich einmal ansehen, haben wir mit Abstand die höchste Bettenzahl pro Einwohnerinnen und Einwohner, sind aber nicht unbedingt kränker als unsere Nachbarn.“ Er sei ein Verfechter des Standpunktes, dass Patientinnen und Patienten im bestmöglichen Setting behandelt werden: „Wenn es das Krankenhaus sein muss, muss es das Krankenhaus sein, keine Frage.“ Aber die meisten Patientinnen und Patienten sind, wenn es ihnen nicht gut geht, am liebsten zuhause. PD Dr. von Oerzten ist insofern ein Befürworter der Ambulantisierung, kritisiert in gewissem Maße aber das Wie ihrer Umsetzung: „Da tut sich in der Nachsorge momentan ein Problem auf. Weil die Strukturen, die jetzt zum Beispiel für ältere Patientinnen und Patienten nötig wären, sprich ambulante Pflege, Hausärztinnen und Hausärzte, Tagespflege nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen. Ich glaube die Schwierigkeit, die wir in Deutschland haben, ist, die vielen gewachsenen Strukturen umzustellen und neu aufzusetzen.“ Das ginge aber nicht auf die Schnelle. Auch er sei, wie viele andere Krankenhauschefinnen und -chefs, unglücklich mit dem kalten Strukturwandel, bei dem Kliniken aus ökonomischen Zwängen heraus schließen müssen. Als Universitätsklinik sei das UKW klar der Wissenschaft und Forschung verpflichtet und an der Maximalversorgung orientiert. „Wir sind nicht die eierlegende Wollmilchsau, die alles auffangen kann … wir sind darauf angewiesen, dass es Strukturen um uns herum gibt“, erklärt Tim von Oertzen die wichtige Rolle der Basisversorgung, die Kliniken im Umfeld eines Maximalversorgers wahrnehmen. „Die Politik übt gerade Druck aus und es passiert dadurch etwas, das vielleicht so gar nicht gewollt ist und das auch nicht auffangbar ist. Da sind wir auch nur Akteure und Reakteure und müssen mit der Situation, die vorliegt, umgehen. Dennoch müssen wir schauen, dass wir die Versorgungsleistungen für die uns anvertraute Bevölkerung entsprechend darstellen“, beschreibt von Oertzen den Status Quo. Zum jetzigen Zeitpunkt sei die Uniklinik in der Lage, alle Notfälle abzufedern, auch bei möglichen Großschadensereignissen. Klinikschließungen wie in Wertheim (Rotkreuzklinik) oder in Schweinfurt (Krankenhaus St. Josef) würden sich auf das UKW nur marginal auswirken. Wertheim und Schweinfurt seien relativ weit weg, sollte aber ein wichtiges Partnerkrankenhaus in nächster Nähe aufgeben, dann müsste auch das UKW sein Prozedere neu denken. Lebenslinie: Was wäre, wenn in absehbarer Zeit zum Beispiel die „Gynäkologie“ der Missio-Klinik schließen müsste, die mit rund 2.400 Geburten im Jahr mehr Schwangere betreut als die Uniklinik? PD Dr. Tim von Oerzten: „Wenn wirklich ein Versorger, der im Setting eine wichtige Rolle spielt, in die Knie geht, haben auch wir als Uniklinik ein Problem. Eine Abteilung, ob das jetzt die Geburtshilfe ist oder ein andere, aus dem Stegreif doppelt so groß zu machen, funktioniert allein schon aus Platzkapazitäten nicht … Aber ich halte das von Ihnen angesprochene Szenario für sehr unwahrscheinlich.“ Apropos Szenario: Der Ärztliche Direktor, der viele Jahre auch im Ausland als Arzt tätig war, hält den verantwortungsvollen Umgang mit allen Ressourcen im aus den USA stammenden Ansatz von „Value-Based Healthcare“ für vielversprechend. Dieser zielt darauf ab, dass der Erfolg einer Behandlung nicht nur am Effekt isolierter Prozeduren oder Outcomes gemessen werde. Stattdessen sollte eine Beurteilung (Value) in erster Linie anhand der Benefits für die einzelnen Patientinnen und Patienten erfolgen. Nach deren Wohl sollten sich die Anstrengungen sämtlicher Behandelnden im Gesundheitssystem richten. Gleichzeitig müsse dieses Ziel finanzierbar bleiben. „Hier geht es, um es kurz zu sagen, nicht darum, dass die Patientin oder der Patient eine Operation ohne Komplikationen übersteht, sondern es geht um Lebensqualität.“ Es ginge darum, dass sie oder er sich sechs oder zwölf Monate nach der Operation deutlich besser fühlt als vorher, also wirklich um einen holistischen Ansatz, insistiert Dr. von Oertzen. „Ich glaube, da müssen wir hin! Wenn wir es schaffen, die Medizin dahingehend auszurichten, haben wir eine Balance zwischen guter medizinischer Versorgung, die das Beste erreichen will, und einem Vergütungssystem, das sich danach ausrichtet.“
Das Interview mit dem Ärztlichen Direktor des UKW führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury.