Alt wird der Mensch von allein. Doch ob sein Altern gelingt, hat er selbst in der Hand. Als Benediktinerpater Anselm Grün sein Buch „Die hohe Kunst des Älterwerdens“ 2007 schrieb, war er 62 Jahre jung. Damals war er als Cellerar noch für die rund 20 Betriebe der Benediktinerabtei in Münsterschwarzach zuständig. Vor fünf Jahren erkrankte Pater Anselm an Nierenkrebs. Ein Gespräch mit dem heute 75-Jährigen über das Älterwerden.
Lebenslinie (LL): Pater Anselm, hilft Ihnen Ihr eigenes Buch beim Älter- werden?
Pater Anselm Grün (AG): „Das Älterwerden ist ein Test, ob ich das, was ich schreibe, tatsächlich lebe. Als ich krank wurde, tauchten Fragen auf: Mein Leben ist begrenzt, was heißt das? Wie lebt man noch bewusster im Augenblick? Als ich das Buch schrieb, betonte ich, wie wichtig das Loslassen sei. Als 2013 – nach 36 Jahren – meine Zeit als Cellerar endete, merkte ich, dass es einfacher ist, Dinge aufzuschreiben als sie umzusetzen.“
LL: In der Gesellschaft will heute kaum einer als alt gelten, Sterben und Tod werden erst recht tabuisiert. Warum fällt es Menschen so schwer, das eigene Älterwerden zu akzeptieren?
AG: „Von der Gesellschaft geht ein gewisser Druck aus, das eigene Älterwerden zu verdrängen. Aus meiner Sicht ist es sehr schade, wenn Menschen ihr Alter nicht feiern können, denn jedes Alter hat seine eigene Qualität, egal ob man 50 oder 80 Jahre wird. Gleichzeitig ist jedes Alter auch eine Herausforderung und erfordert Loslassen. Aber wir sollten zum Augenblick ‚Ja‘ sagen und zu der Chance, die in jedem Alter steckt!“
LL: Heute sind viele ältere Menschen hochaktiv, machen Sport, bereisen die Welt. Dann kam Corona und plötzlich zählten sie zur Risikogruppe. Was löst das aus?
AG: „Viele waren überfordert, denn sie mussten sich plötzlich mit sich selbst auseinandersetzen: Wie gehe ich mit meiner Einsamkeit um? Es geht um den Sinn des Alters: Liegt dieser allein darin, möglichst viel unternehmen zu können oder will ich anderes vermitteln? Die Fähigkeit bei mir zu sein und mich auszuhalten; nicht Bitterkeit, sondern Milde auszustrahlen, Gelassenheit und Weisheit. Zudem hat die Corona-Krise gerade ältere Menschen konfrontiert mit dem wirklichen Tod. Aber das gehört zum Altwerden: Ich lebe dankbar im Augenblick und weiß gleichzeitig, dass das Leben zu Ende gehen kann.“
LL: Im Buch geht es mehrfach um Stille – und darum, diese im Alter aushalten zu können. Heute ist das Handy überall dabei, echte Stille kennen viele Menschen kaum mehr…
AG: „Ein Mensch, der Stille nicht mehr aushalten kann, ist irgendwann leer. Deshalb ist es mir wichtig, für Stille zu faszinieren. Bei einer Wanderung mit dem Familienkreis hatte ich einmal Schweigezeit miteingebaut. Am nächsten Tag fragten mich die Kinder: Machen wir das wieder mit den schönen Gedanken?“
LL: Wie lautet die Quintessenz ihres fast 200-seitigen Buches?
AG: „Älter werden heißt, ‚Ja‘ zu sagen zu meinem Menschsein, so wie es ist. Älter werden bedeutet, dass ich in jedem Augenblick meines Lebens ein Segen sein kann für andere Menschen!“
Anselm Grün: Die hohe Kunst des Älterwerdens, Vier-Türme-Verlag Münsterschwarzach,
Überarbeitete Neuauflage 2020, 187 Seiten, ISBN 978-3-73650294-9.