Hygienesünden zahlen sich nicht aus!

Dr. Andreas Schwarzkopf mahnt, die zunehmende Ökonomisierung im Gesundheitswesen nicht auf die Spitze zu treiben: Sie wird sonst vor allem in der Hygiene ihre Opfer fordern

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Der Hauptverbreitungsweg von Keimen seien die eigenen Hände, betont Hygieniker Dr. Andreas Schwarzkopf. Foto: Susanna Khoury

Wenn es im Gesundheitswesen nur noch ums Gewinnstreben geht und man den Menschen aus dem Blick verliert, dann sei der Zeitpunkt gekommen, wo es gefährlich werde, und zwar für den Patienten, sagt Hygieniker Dr. Andreas Schwarzkopf.

„Wir reden hier über Körperverletzung und wir reden hier über fahrlässige Tötung!“ Noch seien es Einzelfälle in einzelnen Kliniken, doch der Sachverständige wurde mehrfach als Gutachter im Auftrag verschiedener Staatsanwaltschaften tätig – bei genau diesen Vorwürfen.

Es könnten mehr werden, wenn man weiter versuche, die Kliniken bis zum Gehtnichtmehr auszupressen, so der Leiter eines Instituts in Bad Bocklet, das sich als größter Anbieter von Hygieneschulungen in Deutschland etabliert hat.

„In nahezu jeder Hygienestudie wird offensichtlich, dass Personalmangel die Rate der Infektionen erhöht. Es gibt nichts, was mehr evidenzbasiert wäre“.

Der Mediziner, der über MRSA-Feintypisierung und Qualitätsmanagement in der Krankenhaushygiene habilitierte, betreut als externer Hygieniker zusammen mit internen Kollegen unter anderem die Missionsärztliche Klinik und das Juliusspital (Klinikum Würzburg Mitte), das Klinikum Main-Spessart, das Krankenhaus St. Josef in Schweinfurt, die Theresienklinik in Würzburg und die Häuser des Bezirks Unterfranken und Oberfranken.

„Bisher konnten wir die Keime in ‚meinen‘ Kliniken in Schach halten. Aber ich bin Realist … es kann jeden Tag passieren, dass sich ein gefährlicher Keim auf den Weg begibt! Und machen wir uns nichts vor, der macht dann auch vor den Kliniken in der Region nicht Halt!“

Gramnegative Bakterien auf dem Vormarsch

Vor allem multiresistente gramnegative Bakterien (MRGN-Bakterien) seien auf dem Vormarsch. MRGN ist eine Sammelbezeichnung von unterschiedlichen Gruppen von Bakterien, die eins gemeinsam haben: Sie sind unempfindlich, sprich resistent, gegen ausgewählte Gruppen (3 oder 4) gängiger, gut verträglicher Antibiotika. Gegen 4MRGN-Pseudomonas aeruginosa, einem weitverbreiteten Nasskeim, stehe beispielsweise nur noch ein Reserve-Antibiotikum zur Verfügung.

„Es gibt inzwischen Erreger, die können uns mit den Rücken zur Wand stellen“, sagt der seit 30 Jahren in der Hygiene tätige Experte Andreas Schwarzkopf.

Der „dienstälteste“ Keim (wurde 2011 bereits 50 Jahre alt) ist der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus, bekannt als MRSA. Er galt eins als Schreckgespenst, heute sei er das „Kuscheltier“ der Truppe, weil für ihn reichlich Reserve-Antibiotika vorhanden seien.

Mehr Kopfschmerzen machten Dr. Schwarzkopf die Gruppe der gramnegativen Bakterien, die inzwischen für sieben bis zehn Prozent der Krankenhausinfektionen verantwortlich seien (MRSA: sieben bis 16 Prozent, abhängig von der Infektion und der Region).Lungenentzündungen und Harnwegsinfekte lassen sich oft auf MRGN-Bakterienstämme zurückführen. Neue Reserve-Antibiotika wären hier dringend geboten.

„Ein Reserve-Antibiotikum, das selten eingesetzt wird, erwirtschaftet nicht die Gewinne, die die Pharmaindustrie benötigt, um die Forschung im Vorfeld voranzutreiben, so dass sich auf diesem Gebiet wenig tut“, erklärt der Mikrobiologe, der von der Regierung von Unterfranken vor fast 20 Jahren zum bundesweit ersten öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Krankenhaushygiene ernannt wurde.

Konsequente Basishygiene

Dennoch würde der Facharzt nicht so weit gehen, von einem postantibiotischen Zeitalter zu sprechen: „Wir haben noch Handlungsspielraum, wenn wir es geschickt anstellen!“ Voraussetzung dafür sei allerdings die Einhaltung eines strikten Hygieneplans in den Kliniken.

„Leider ist die Compliance, die Bereitschaft, sich an diesen zu halten, in der Pflege meist besser als bei der Ärzteschaft“. Dafür habe er überhaupt kein Verständnis, da bereits durch einfache Maßnahmen wie konsequente Händedesinfektion die Verbreitung von Krankenhauskeimen massiv eingedämmt werden könnte. Der Hauptverbreitungsweg sei unterbrochen und die Infektionsrate ginge von alleine zurück.

Flächendesinfektion sei bei seinen Aufklärungsrunden durch die Stationen ebenso ein Thema. Manche greifen auch zu unkonventionellen Methoden wie dem Einsatz von Teebaumöl oder Minzöl zur Keimreduzierung. Beispielsweise reduziere verdampftes Minzöl in einer Aromalampe, Keime in der Luft und auch auf Oberflächen erheblich, weist der Mediziner auf entsprechende Literatur hin.

Auch gehöre es zu seiner Aufgabe, zu prüfen, ob genügend Händedesinfektionsspender an den richtigen Stellen in den Kliniken vorhanden seien: „Es kommt gar nicht auf die absolute Zahl an. Sie müssen nur genau da stehen, wo man sie auch benötigt“, betont PD Dr. Schwarzkopf. Auch MRSA-Screenings bei der Aufnahme von Risikogruppen seien ein probates Mittel, um Keime zu identifizieren und dann zu eliminieren. Eine seiner betreuten Kliniken mache das sogar bei jedem neu aufgenommenen Patienten mit guten Ergebnissen für die Hygiene-Bilanz.

Restrisiko bleibt

Nicht nur die Experten, auch der Laie, sprich der Patient, könne sich vor einem Eingriff (Ausnahme ist der Notfall) mit Spurenelementen wie Selen oder Zink und vor allem von der Psyche her gut aufstellen, und so Bakterien eine möglichst kleine Angriffsfläche bieten. „Ein Restrisiko bleibt jedoch immer“, weiß auch der Experte.

Habe man sich dann doch einmal einen Keim eingefangen, sei es wichtig, dass im Wundmanagement geschultes Personal Techniken wie etwa Unterdrucktherapie bei Wunden zum Einsatz bringe: „Damit kriegt man die Keime in der Regel wieder raus. Dass sie reinkommen, das kann man nicht immer verhindern“, so der ehemalige stellvertretende Vorsitzende der Initiative Chronische Wunde e.V..

Beispielsweise wirke die Desinfektion der Haut bei einer OP rund 20 bis 30 Minuten. Danach lasse diese nach und Bakterien hätten von der Haut an den Wundrändern her, freie Bahn in den Körper. Auch sei die Infektionsrate beispielsweise bei einer Hüft-OP (derzeit bei etwa 1,5 Prozent) durch stete mediale Aufmerksamkeit gefühlt wesentlich höher. Man müsse wachsam sein, sich an bestimmte Hygiene-Vorschriften halten und im Ernstfall schnell, gezielt und richtig reagieren, dann bestehe kein Grund zur Panikmache.

Das Interview mit Hygieniker Dr. Andreas Schwarzkopf führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury.

INFO: Schwarzkopf, Andreas: Multiresistente Erreger im Gesundheitswesen 2. Auflage 2016. Mhp-Verlag Wiesbaden, www.institutschwarzkopf.de.

Hygienekongress – 7. bis 9. März 2018 in Würzburg
Bereits zum 6. Mal veranstaltet das Institut Schwarzkopf einen Hygienekongress. Im Rahmen des Wundkongresses der Initiative Chronischer Wunden im Süden (ICW) findet vom 7. bis 9. März 2018 ein HWX-Kongress auf der Festung Marienberg statt.
Was heißt HWX-Kongress?
H steht für Hygienemanagement.
W steht für Wundversorgung.
X steht 2018 für „Mensch im Focus“.
Das Dogma, das noch in den 1980er Jahren gelehrt wurde, dass jeder Tod eine verlorene Schlacht sei, wird in der Medizin allmählich vernachlässigt. Wenn der Mensch also keine Maschine ist, die automatisch reagiert, sobald ein Krankheitserreger auftaucht, eröffnen sich große Freiräume …! Welchen Einfluss haben der Patient, Behandler, die Umgebung auf einen Heilungsverlauf? Wie finden sich die neuen Erkenntnisse in den Expertenstandards und Leitlinien wieder? Welche neuen Möglichkeiten der Behandlung ergeben sich daraus? Wie sollte die Zusammenarbeit im Team aussehen? Wie schützen sich die Behandler vor dem Zwang der Ökonomie? Welche Fortbildungen sind für ein effektives Ergebnis sinnvoll? Neben aktuellen Entwicklungen des Hygiene- und Wundmanagements widmet sich der Kongress im März 2018 diesen und ähnlichen Fragen.

Anmeldung ab sofort unter Telefon 09708.70596-732 und unter kongress@institutschwarzkopf.de.

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