Hilfe gibt’s nur im Notfall

Tropenmediziner Professor Dr. August Stich fordert unbeschränkten Arztzugang für Flüchtlinge

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Foto: ©depositphotos.com/zurijeta

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Kein Flüchtling muss in Deutschland Schmerzen ertragen. Hat er sich den Fuß verknackst oder tut ein Zahn weh, besteht Anspruch auf eine medizinische Notfallversorgung.

Doch das reicht nicht aus, betont Professor Dr. August Stich, Chefarzt in der Missionsärztlichen Klinik. Auch bei chronischen Leiden, fordert er, sollten Flüchtlinge zum Arzt gehen können: „Alles andere verstößt gegen die UN-Menschenrechtskonvention.“

Auch müsste der Zugang zum Arzt wesentlich niedrigschwelliger gestaltet werden. Im Moment ist es so, dass akut erkrankte Flüchtlinge zum jeweiligen Sozialamt gehen müssen. Das entscheidet, ob der Arztbesuch notwendig ist.

Allein dies ist Stich zufolge absurd, sitzen doch beim Sozialamt keine Ärzte. In Hamburg und in Bremen ist es Flüchtlingen, anders als in Bayern, bereits seit einer geraumen Weile erlaubt, mit einem ganz normalen Versichertenkärtchen jederzeit direkt zum Arzt zu gehen, wenn sie sich unwohl fühlen.

„Was nachgewiesenermaßen auch nicht dazu geführt hat, dass die Kosten explodiert wären“, so der Professor.

Seit Anfang 2008 kümmern sich Krankenschwestern und Ärzte der Missionsärztlichen Klinik um kranke Asylbewerber aus Würzburg. Regelmäßig halten sie Sprechstunden in der Gemeinschaftsunterkunft (GU) in der Veitshöchheimer Straße ab.

Solche Sprechstunden machen laut Stich nach wie vor Sinn: „Um präventiv tätig sein zu können und vor allem auch, um Flüchtlinge zu impfen.“

Auf Schutzimpfungen haben die Geflüchteten sogar einen Anspruch. Doch tauchen sie in der Klinik oder der Arztpraxis auf, werden sie eher selten nach ihrem Impfstatus gefragt. Geschweige denn, dass ihnen Impfungen angeboten werden.

Zeitnot ist hierfür der Hauptgrund. Inzwischen sind Mitarbeiter der Missionsärztlichen Klinik in fünf Unterkünften aktiv. Mit großem Erfolg: „In der Balthasar-Neumann-Kaserne konnten wir 300 Menschen impfen.“ Auf rein freiwilliger Basis: „Keiner wird dazu gezwungen.“

Immer wieder greift Professor Dr. August Stich von der Missionsärztlichen Klinik zum Telefon, um die Kostenübernahme nach der Behandlung eines Flüchtlings zu klären. Foto: Pat Christ

Immer wieder greift Professor Dr. August Stich
von der Missionsärztlichen Klinik zum Telefon,
um die Kostenübernahme nach der Behandlung
eines Flüchtlings zu klären. Foto: Pat Christ

Bayernweit ist das, was das Team um Stich tut, einmalig. Allerdings müsste das Projekt dem Chefarzt zufolge dringend auf andere Standorte rund um Würzburg ausgeweitet werden: „Doch dafür erhalten wir im Moment keine Finanzierung.“

Beim Thema „Gesundheit“ müsse auch bedacht werden, dass allein die Umstände, unter denen Asylbewerber in Deutschland leben, krank machen – zumal die Flüchtlinge oft körperlich und seelisch geschwächt sind.

In vielen provisorisch eingerichteten Sammelunterkünften gibt es Stich zufolge keinerlei Rückzugsmöglichkeiten. Auch die hygienischen Verhältnisse seien nicht überall wirklich gut.

Psychisch immens belastend sei zudem, dass Flüchtlinge häufig verlegt werden: „Ich kenne einen Flüchtling, der innerhalb von vier Wochen in elf verschiedenen Notunterkünften war.“

Wie alle anderen Kliniken in der Region, ist auch das Juliusspital für die Versorgung von Flüchtlingen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes zuständig. „Notfälle werden ohne Differenzierung jederzeit behandelt“, bestätigt Lisa Schraud von der Abteilung für Patientenmanagement.

Geplante und notwendige Behandlungen hingegen bedürften in der Regel einer vorherigen Genehmigung. Insgesamt nahm man sich im Juliusspital 2015 rund 100 Flüchtlingen an.

Problematisch ist Schraud zufolge, dass viele Flüchtlinge kein Wort Deutsch sprechen: „Und auch sonst keine der uns gängigen Sprachen.“ Darum beschloss die Klinik, für die Notaufnahme Übersetzungshilfen zu beschaffen.

Was gar nicht so einfach war: „Weil der Bedarf so groß ist, waren die im Internet angebotenen Übersetzungsbücher fast vollständig ausverkauft.“ Inzwischen ist es in der Notaufnahme des Juliusspitals möglich, sich über Internet-Übersetzungsangebote und neu angeschaffte Lautsprecher etwas
vorlesen zu lassen. Außerdem wird versucht, über Bildsprache zu kommunizieren.

Die bisher vom Juliusspital behandelten Flüchtlinge fielen in die Zuständigkeit von Stadt oder Kreis Würzburg. „Die Kosten werden von der jeweiligen Behörde gezahlt, bei der ein Asylbewerber gemeldet ist“, erläutert Schraud.

Problematisch werde es, wenn der Patient noch nicht gemeldet und die Zuständigkeiten noch nicht geklärt sind. Das Universitätsklinikum versorgt Asylbewerber sowohl stationär und teilstationär als auch ambulant.

Die Zahlen steigen laut Pressesprecherin Susanne Just stetig: „Im stationären Bereich gab es in den ersten drei Quartalen 2015 etwa 250 bis 300 stationäre Behandlungen.“ Dies waren etwa doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum 2014.

Just: „Im ambulanten Bereich zeichnet sich eine ähnliche Tendenz ab. Dort hatten wir in diesem Zeitraum 2015 mehr als 1.000 ambulante Besuche von Asylbewerbern und damit ebenfalls mehr als doppelt so viele im Vergleich zu 2014.“

Grundsätzlich werden auch bei der Uniklinik nur Kosten für Schutzimpfungen, für die Therapie akuter Erkrankungen und plötzlicher Schmerzzustände sowie für Behandlungen bei Schwangerschaft und Entbindung übernommen.

Konkret an der Behandlung beteiligt waren bisher die medizinischen Kliniken, die Kinderklinik, die chirurgischen Fachabteilungen, die Neurochirurgie und die Neurologie sowie die Fachärzte für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten.

Auch die Gynäkologie der Universitätsfrauenklinik und die Ärzte der Zahnklinik hatten in letzter Zeit oft mit Flüchtlingen zu tun.

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