In Europa ist mehr als ein Drittel der Getreideprodukte aus konventioneller Landwirtschaft mit Pestizid-Rückständen belastet. Das geht aus dem neuen Report der Verbraucherorganisation Foodwatch (The Dark Side of Grain) hervor. Auch wenn die ermittelten Rückstände bei den einzelnen Brot-Produkten jeweils unter den erlaubten Richtwerten liegen, ist es doch der Cocktail, der entsteht, wenn man dauerhaft belastete Getreideprodukte zu sich nimmt (die Dosis macht das Gift). Seit 25 Jahren ist in Deutschland der Absatz von Pestizidwirkstoffen konstant.
Lebenslinie (LL): Bodenständiges Handwerk im wahrsten Sinne des Wortes setzt auf Landwirtschaft, die keine Pestizide verwendet. Wie geht das und was bedeutet das für die Getreideprodukte, die Artenvielfalt, die Böden und die Gesundheit der Verbraucher:innen?
Ernst Köhler (EK): „Im Ökolandbau werden keine chemisch-synthetischen Pestizide eingesetzt, was gut für die Artenvielfalt ist. Jedoch wird durch diesen Verzicht die Arbeit auf dem Feld deutlich aufwendiger, unerwünschte Beikräuter müssen (teils manuell) entfernt werden, regelmäßig muss auf Schädlinge kontrolliert werden etc. Auch der Klimawandel bereitet Sorgen, weil man nur schwer abschätzen kann, wie sich verschiedene Kulturen in den kommenden Jahren mit zunehmenden Extremwetterlagen auf dem Feld verhalten werden.“
LL: Laut dem Pestizidatlas erkranken jährlich rund 385 Millionen Menschen an Pestizidvergiftungen, auf Feld und Flur geht die Artenvielfalt verloren, Insekten sterben mehr und mehr. Pestizide haben einen großen Anteil an diesem ökologischen Armageddon. Wie kann man diese Abwärtsspirale stoppen?
EK: „Wenn ich auf diese große Frage nur eine Antwort geben könnte, dann diese: Bio muss die Norm werden. Es ist falsch, dass im konventionellen (Lebensmittel-)Einzelhandel Bio als das Außergewöhnliche, Besondere behandelt wird. Die Krux ist da selbstverständlich auch der Preis. Wenn konventionelle Lebensmittel nur einen Bruchteil kosten, dann ist es klar, dass viele Menschen so konsumieren – nicht, weil sie nicht vielleicht gerne anders kaufen wollen würden, sondern weil sie sich es vielleicht nicht leisten können, auf Bio-Lebensmittel umzusteigen.“
LL: Wie viel Getreide beziehen Sie im Jahr für Ihre Backwaren (Weizen, Roggen, Dinkel, Emmer) und wo kommt das her?
EK: „Wir beziehen im Jahr grob geschätzt rund 125 Tonnen Getreide und vermahlen das auf der hauseigenen Mühle täglich frisch. Hinzu kommt noch eine gewisse Menge bereits gemahlener Mehle sowie Ruchmehle, Quellmehle und Flocken, sodass eine genaue Menge tatsächlich nur schwer zu beziffern ist. All unser Getreide und auch die Mehle beziehen wir von der OBEG in Schrozberg/Hohenlohe. Mit der Bioland-Erzeugergemeinschaft im nördlichen Baden-Württemberg (rund 60 Kilometer zur Backstube) haben wir einen Partner gefunden, der die gleichen hohen Ansprüche an Getreide hat – und erfüllen kann – wie wir. Mehr als 100 Bioland-Bauern aus der Region bringen ihre Ernte dorthin. Dann wird vor Ort frisch vermahlen und an verarbeitende Betriebe, so wie wir einer sind, geliefert.“
LL: Warum ist es besonders bei Vollkornprodukten so wichtig, dass sie aus ökologischer Landwirtschaft stammen?
EK: „Vollkorn bedeutet, dass die Randschichten des Korns vor dem Mahlen nicht entfernt werden. In diesen Randschichten befinden sich die meisten Ballaststoffe, Antioxidantien und Mineralien des Getreides. Soweit der offensichtliche Vorteil von Vollkorn. Allerdings haften auf dieser Randschicht auch jegliche Schadstoffe aus der Umwelt, so also auch Pestizide. In einer Mühle wird das Getreide zuerst gesiebt, um Erde, Steinchen und andere Fremdkörper zu entfernen. In einem nächsten Schritt wird die Oberfläche des Getreides gereinigt, um Staub und Umweltkontaminanten zu entfernen. Allerdings wird (vor allem) bei Getreide, das als volles Korn weiterverarbeitet werden soll, so sanft wie möglich gereinigt, um die Kleie des Getreides, so gut es geht, zu erhalten. Das wiederum bedeutet, dass zwar viele Schadstoffe, aber nie einhundert Prozent der Pestizidrückstände entfernt werden.“
LL: Welche Rolle spielen hierbei auch die Böden?
EK: „Böden sind die Grundlage alles Lebens. Nährstoffe aus dem Boden wandern auch ins Korn. Aber eben nicht nur Nährstoffe, sondern auch Schadstoffe. Deshalb muss unser Boden und das Grundwasser besser geschützt werden.“
Das Interview mit Biobäckermeister Ernst Köhler führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury.