Fluch und Segen

Professor Franz Staudt über Pränataldiagnostik und Therapie. Am 17. November ist Welt-Frühgeborenen-Tag

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„Deutschlandweit kommen pro Jahr rund 60.000 Kinder zu früh auf die Welt. Demnach ist eines von zehn Neugeborenen ein Frühchen“, so der Bundesverband „Das frühgeborene Kind“.¹ Damit seien Frühgeborene die größte Kinderpatientengruppe Deutschlands. Die Ursachen sind mannigfach. So erwähnt der Verein in seiner Broschüre unter anderem Infektionen oder Mangelversorgung vor der Geburt². Auch Gene spielen eine Rolle. Diesen Beweis haben US-Forscher angetreten, die erst vor wenigen Jahren mütterliche Genvarianten identifizierten, „die mit der Schwangerschaftsdauer und dem Frühgeburtsrisiko assoziiert sind“³.

Während der Schwangerschaft gilt es also, genau hinzusehen! Wirklich? Dass die Pränataldiagnostik Fluch und Segen zugleich sein kann, damit beschäftigte sich Anfang dieses Jahres der Pä- diater und Medizinethiker, Professor Franz Staudt aus Passau. Er folgte einer Einladung des Klinischen Ethikkomitees (KEK) vom Klinikum Würzburg Mitte und hielt einen Impuls-Vortrag am Standort Missioklinik. „In vielen Fällen trägt die Pränataldiagnostik zur Beruhigung der Eltern bei“, so das KEK in seiner Einführung. Im engeren Sinne versteht man unter Pränataldiagnostik die vorgeburtliche Diagnostik genetisch bedingter Erkrankungen oder deren Dispositionen.

Doch bereits die Möglichkeit einer Pränataldiagnostik könne Paare in „Konfliktsituationen stürzen“. Und werde dann tatsächlich etwas festgestellt, seien die „Möglichkeiten pränataler Therapie bei vielen Erkrankungen nach wie vor begrenzt“. Das Thema birgt Zündstoff und es verwirrt. Denn die moderne Medizin stellt, neben dem gängigen Ultraschall, unzählige und mitunter kostspielige Verfahren zur Verfügung, um verschiedenste Fragen schon vor der Geburt vermeintlich zu klären. Ob einzelne von ihnen am Ende die gewünschte „Sicherheit“ bringen, sei dahingestellt. „Es ist wichtig, zu wissen, dass die Ergebnisse nicht immer eindeutig sind“, mahnt der Professor.

„Es ist daher notwendig, dass schon vor der Untersuchung mit der Frau über Bedeutung und Konsequenzen der Pränataldiagnostik gesprochen werden muss.“ Pränataldiagnostik könne Klarheit bringen, aber auch unnötige Verunsicherung in eine Schwangerschaft tragen. „Sie kann freudige Erwartung in eine angstvolle verwandeln“, so Staudt. Denn eines müsse klar sein: „Es gibt Behinderungen bei Kindern, die erst im Laufe des Lebens auftreten, etwa durch einen Unfall. Es gibt jedoch auch etliche, die vorhersehbar sind“, so der Pädiater weiter. Die meisten davon seien aber nicht behandelbar.

Pränataldiagnostik erfordert aufgrund ihres Konfliktpotenzials und mitunter nicht umkehrbarer Konsequenzen höchste Sensibilität. In welches Dilemma sie alle Beteiligten führen kann, beschreibt der Arzt bereits 2018 in einem Beitrag für das Ärzteblatt⁴. Darin sagt er: „Auch wenn der Fetus als ungeborenes Kind nicht den gleichen ethischen und rechtlichen Status wie ein Kind nach der Geburt hat, so besteht kein Zweifel, dass sein Wohl bei der Abwägung der ethi- schen Prinzipien durch die Betroffenen ebenfalls berücksichtigt werden sollte.“ Für den Arzt ergebe sich hier jedoch der offensichtliche Widerspruch, einer Schwangeren zur Behandlung des Feten zu raten, gleichzeitig aber die Entscheidung für eine Abtreibung offen zu lassen und diese Entscheidung dann gegebenenfalls auch zu respektieren.

Quellen:
¹http://welt-fruehgeborenen-tag.de/warum-ein-solcher-tag
²https://www.uk-essen.de/fileadmin/Kinderklinik/Downloads/Entwicklungsprognose.pdf
³https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/html/10.1055/s-0044-101969#Schwangerschaftsdauer%20und%20Fr%C3%BChgeburtlichkeit
https://www.aerzteblatt.de/archiv/198720/Paediatrie-Ethische-Aspekte-von-fetalen-Eingriffen

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