Ein moderner Scheiterhaufen?

Chefärztin Dr. Elisabeth Bösl über Geschlechterrollen in der Medizin und darüber, wie sie es als Frau geschafft hat, Karriere zu machen

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Über Jahrhunderte hinweg war das Medizinstudium eine reine Männerdomäne. Zwar gab es im Mittelalter schon Hebammen und Kräuterweiber. Doch ihr Tun war hochriskant für Leib und Leben, vornehmlich für ihr eigenes. Es brachte sie als Hexen in Verruf und so landeten heilkundige Frauen nicht selten auf dem Scheiterhaufen. Sanktionen dieser Art müssen Frauen heutzutage nicht mehr fürchten, doch kommen von den rund 100.000 Studienanfänger:innen im Fach „Medizin“ (über 60 Prozent weiblich) gerade einmal 13 Prozent Frauen etwa in Führungspositionen in Unikliniken an¹. Eine Art moderner Scheiterhaufen?

Lebenslinie hat sich mit Dr. Elisabeth Bösl, Fachärztin für Innere Medizin und Klinische Akut- & Notfallmedizin, über Geschlechterrollen in der Medizin unterhalten und darüber, wie sie persönlich es geschafft hat, als Frau und Mutter Chefärztin der Zentralen Notaufnahme des Juliusspitals (Klinikum Würzburg Mitte, KWM) zu werden.

„Ich war immer offen für Neues. Flexibel und improvisationsfreudig sowieso. Ich hatte zahlreiche Mentor:innen, Männer wie Frauen, und einen Ehemann, der in seinem Beruf zurücksteckte zugunsten unseres Kindes. Ich hatte sehr viel Glück! Aber ich weiß, dass ich eine Ausnahme bin“, gibt die 58-Jährige offen zu. Dass Frauen seltener Oberärztinnen und noch seltener Chefärztinnen werden, dafür gäbe es äußere, aber auch innere Barrieren. Es seien einerseits die hierarchischen Krankenhausstrukturen und die Tatsache, dass Männer besser mit Männern zurechtkämen, deren Sprache sprächen und diese dadurch eher förderten. Es liege aber auch an den Frauen selbst, die sich zu wenig zutrauten und ihr Licht unter den Scheffel stellten, sodass sie sich selbst ausbremsten, so Bösl. „Und es ist immer noch so, dass die Frauen die Kinder bekommen. Spätestens nach der Facharztausbildung tickt die biologische Uhr.“ Und deutsche Mütter arbeiten meist in Teilzeit (66 Prozent)², wenn überhaupt. Und das sei bei Ärztinnen nicht anders.

„Glücklicherweise hatte ich einen Ehemann, der mir Rückendeckung gab und sich vornehmlich um unseren Sohn kümmerte, mir aber sooft es ging Felix zum Beispiel auf der Notarztwache vorbeibrachte, sodass er kein reines ̦Papakind‘ wurde“, plaudert die gebürtige Münchnerin aus dem ­Nähkästchen. Bereits mit zehn Jahren hat Elisabeth Bösl gewusst, dass sie Ärztin werden will. In der Oberstufe habe sie dann realisiert, dass man dafür auch gute Schulnoten braucht und schnell noch einen Auslandsaufenthalt eingeschoben, um ihre Englischkenntnisse zu verbessern. „Diese Erfahrung hat mir nicht nur ein sehr gutes Abi beschert, sondern auch ein Studium in Dublin und Assistenzarztstellen in London, Luton, Cardiff, Winchester und Leeds.“ Ihr damaliger Doktorvater zitierte sie dann aber zur Promotion und hiesigen Approbation zurück nach Deutschland, und der Rest war, wie sie selbst sagt, eine durch Fleiß von Erfolg gekrönte „Selbstläuferkarriere“. Vielleicht auch, weil Elisabeth Bösl so ist, wie sie ist: „Ich habe nie etwas erzwungen, war zugleich aber offen für alles, was kommt ….“ Sie habe sich nicht vorgenommen, Chefärztin zu werden, aber sie habe immer betont, dass sie soweit auf der Karriereleiter nach oben gehen werde, wie sie kommen könne.

Dr.Bösl©InlineInternet&Werbeagentur

Und ihr ehemaliger Chefarzt Professor Clemens Kill im Universitätsklinikum Marburg an der Lahn habe ihr Großes zugetraut. Daher habe sie sich in Würzburg auf die ausgeschriebene Chefarztstelle der Zentralen Notaufnahme (NA) des Juliusspitals beworben und 2018 den Zuschlag von einem Gremium, das überwiegend aus Männern bestand, bekommen. Dr. Elisabeth Bösl hat es vorgemacht, dass das X-Chromosom kein Karriere-Nachteil sein muss. Ihrem Höhenflug inbegriffen war auch ihre Zeit als Notärztin bei der Bergrettung, wo sie drei Jahre Hubschraubereinsätze flog, ebenso wie die Tatsache, dass sie 2019 in Hessen die ganz neue Weiterbildung der Ärztekammer „Akut- und Notfallmedizin“ absolvierte (in Bayern erst ab 2020 eingeführt). Den Ausspruch des deutschen Industriellen Philip Rosenthal (1916-2001) „Wer aufhört besser zu werden, hat aufgehört gut zu sein“ hat sie sich auf die Fahnen geschrieben. Und ein Quäntchen Glück gehört auch immer dazu, etwa zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein! Apropos Ort … die NA des Juliusspitals ist nun ihr „Einsatzort“, an dem sie schaltet und waltet. NAs sind die spannendsten, aber auch anspruchsvollsten Arbeitsplätze. Stichworte: Triage, Schnittstelle Rettungsdienste und Notärzte, Personalmangel, Corona. Lebenslinie wollte wissen, wie sich das organisieren lässt, ob das immer klappt, und wie sich die NAs für die Zukunft aufstellen müssen? Notfälle sind nicht planbar, daher läuft in einer NA, wo so viele Schnittstellen zusammenlaufen, nie alles nach Plan („live is life“), aber dennoch nichts aus dem Ruder. „Was ausnahmslos immer klappen muss, ist die schnelle Versorgung vital bedrohter Personen. Und das Triagieren funktioniert nach festgelegten Algorithmen auch schnell und problemlos“, konstatiert Dr. Bösl.

Denn „Life ist Life“! Mittelfristig arbeitet sie für ihre NA an einem Konzept, um auf die geplante Einführung integrierter Notfallzentren mit Portalpraxis in der NA vorbereitet zu sein. Alle dort Ankommenden werden dann an einem gemeinsamen Tresen zusammen mit der Bereitschaftspraxis triagiert. Und so werden die Weichen gestellt, ob Patient:innen ein Fall für die Bereitschaftspraxis oder die NA sind. Testläufe für einen gemeinsamen Tresen in der NA habe es etwa im Klinikum Frankfurt-Höchst schon gegeben. Und die seien sehr erfolgreich gewesen. Ein allererster Schritt sei jedoch die Aufstockung des ärztlichen und pflegerischen Personals, sodass aus dem ärztlichen Team der NA 24/7 immer ein:e Ansprechpartner:in telefonisch oder persönlich für alle Schnittstellenbelange in der Drehscheibe NA zur Verfügung stehe. Das bedeute nicht nur, rund um die Uhr Ansprechpartner:in für alle Fachabteilungen des eigenen Hauses zu sein, sondern auch für niedergelassene Ärzt:innen, andere Krankenhäuser, Rettungsdienste, Leitstellen oder Patient:innen. Das habe sie während der Corona-Pandemie zusammen mit ihrem Oberarzt aus der NA zu zweit geleistet … life is life!

Quellen:
¹de.statista.com/ statistik/daten/studie/200758/umfrage/entwicklung-der-anzahl-der-medizinstudenten/,
²www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/03/PD21_N017_13.html

www.kwm-juliusspital.de/klinik/notfall.html

In Zeiten von Gender Equality und Diversity möchte man meinen, dass es die Einteilung in Männer- und Frauenberufe nicht mehr gibt. Die Realität sieht anders aus, vor allem in der Medizin. Dr. Elisabeth Bösl ist die erste und einzige Frau in der Gruppe der leitenden Notärzt:innen Würzburgs und die erste und einzige Chefärztin im Würzburger Juliusspital.

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